Das Feuer meines Zorns ist erloschen – Wiederaufnahme Roberto Devereux von Gaetano Donizetti an der Oper Zürich


Was soll man an diesem Abend mit Gaetano Donizettis Roberto Devereux im Opernhaus Zürich mehr rühmen? Das Engagement der Zürcher Bürger für ihre Oper, denen der Intendant Andreas Homoki vor Beginn der Vorstellungherzlich  dankt. Für 4,9 Millionen Franken haben sie im Frühjahr neu aufgelegte Aktien gezeichnet und ermöglichen damit den Bau einer neuen Probebühne. Oder die stimmliche und schauspielerische Präsenz von Edita Gruberova als Elisabetta, die sie auch mit der Wiederaufnahme der Inszenierung von Giancarlo del Monaco von 1997 mit Beginn der diesjährigen Spielzeit mit Verve leidenschaftlich und kraftvoll gestaltete?

Oder ist es das Dirigat von Andriy Yurkevych der auffallend jung besetzten Philharmonia Zürich, das mit dem ersten Paukenschlag der Ouvertüre eine atemlose Spannung erzeugt – und sie über 2 ½ Stunden mühelos hält? Obwohl das Spiel von Macht, Liebe und Tod sowohl theatralisch als auch musikalisch  in vielen Varianten, von Shakespeare bis Verdi zuzählige Male durchdeklinier ist?

Wenn der Chor zu Beginn E quel sorriso infausto piu del suo pianto ancor (Dieses Lächeln ist noch trauriger als ihre Tränen) singt, ahnt man, dass das Unheil seinen Lauf nimmt. Wie Donizetti das allerdings komponiert hat, entfacht die Geschichte eine ungemein fesselnde, musikalisch höchst anspruchsvolle Dynamik. Mit der Kavatine L’amor  suo mi fe‘ beata bezeugt Elisabetta schon in der dritten Szene des ersten Aktes, dass ihr die Liebe zu Roberto (lebens)wichtiger und kostbarer ist als der Thron (innamorata era  un ben maggior del trono).

Wie Edita Gruberova diese, wie sich im Weiteren zeigen sollte, entscheidende Szene musikalisch gestaltet, ist von einer solchen kraftvoll glaubwürdigen Überzeugungskraft, dass sie in Szenenapplaus mündet. E schein, als würden sich Überdruckventile öffnen. Ihr Gesang, der sich in Koloraturen, ob gebunden oder staccato, in Höhen schraubt, dass man stellenweise Angst haben konnte, er könnte sich darin verirren, um aber im nächsten Augenblick in einer gutturale Tonfolge wieder nüchtern sachlich ihre Selbstdisziplin zu finden, strahlt eine fast mythische Kraft aus.

Das führte zwangsläufig immer wieder zu Szenenapplaus. Wobei sich allerdings im Laufe des Abends manchmal eine gewisse Selbstverliebtheit des Publikums bemerkbar macht. Dass die Gruberova die Inszenierung dominiert, hat vor allem ihren Grund in der kompositorischen Absicht von Donizettti, die Fallhöhe der Elisabetta von royalem Understatement auf beschworene Liebessehnsucht menschlich und empathisch nachvollziehbar zu machen. Der Wechsel ihres majestätisch pompösen Kostüms vom machvollen Herrscherrot, über ein verletzliches Liebessehnsuchtsrosa bis zum tragischen Schwarz (Kostüm: Marie-Luise Walek), bläulich ausgeleuchtet in einem hochragenden Bühnenraum (Bühnenbild: Mark Väisänen), markiert optisch eindrucksvolle Erzählpunkte.

Gleichwohl war es ein Spiel mit Vieren. Donizetti schuf dem Musiktheater mit der Rolle des Roberto Devereux  einen musikalischen Gestaltungsrahmen, den der kraftvolle Tenor John Osborn souverän bewältigt. Der Szenenapplaus gilt deshalb ganz zu recht auch ihm. Seine Arie im Gefängnis zu Beginn des dritten Aktes A te diro, negli ultimi singhiozzi atmet Schmerz und Hoffnung von so inniger Verzweiflung, als wäre für einen Moment die Bühne weit weg und der lebendige Alltag ganz nah.

Zusammen mit Veronica Simeoni als Sara – strahlend und klar ihr Mezzosopran –  und Alexey Markov, der mit seinem raumfüllenden Bass den Duca di Nottingham tragisch verzweifelt moduliert, vollendet sich dieser Roberto Devereux in Zürich zu einem eindrucksvollen Musikabend. Wenn auch, wie gesagt, die Story von Anfang an absehbar ist, so ist die Ausführung im Zusammenklang von höchster Qualität der Stimmen und dem angemessenen Spielpathos ein Erlebnis, das durch das Ereignis Gruberova eine besondere Note im wahrsten Sinne des Wortes hat.

Beim Verlassen des Opernhauses nach der Vorstellung bekommen Frauen und Männer eine Rose geschenkt. Eine Rose ist eine Rose, ist eine Rose, ist eine…. So könnte sie uns Roberto Devereux zweifelnd und hoffend von Zeit zu Zeit immer wieder in Erinnerung rufen. Möglich, dass sich das Leben dann wie eine schlechte Kopie der Kunst anfühlt: Il foco e spento del mio furorDas Feuer meines Zorns ist erloschen.

11.10.2012

Über Peter E. Rytz Review

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