Von Schwer- und Leichtgewichten: Saisoneröffnung in der Philharmonie Essen

@ Saad Hamza

@ Saad Hamza

Nachdem die Duisburger Philharmoniker Mitte der Woche die Konzertsaison im Ruhrgebiet eröffnet hatten, folgten ihnen am nächsten Tag die Essener Philharmoniker. Schon allein das zeigt, dass das Ruhrgebiet erfolgreich seinen Imagewandel von einer montanbestimmten zu einer Kulturegion voran treibt . Wenn zudem an beiden Tagen die Konzerte fast ausverkauft waren und das Publikum begeistert Beifall spendete, ist das Beweis genug dafür, dass klassische Konzertangebote im Ruhrgebiet eine große Akzeptanz genießen. Da auch die Bochumer Philharmoniker, die Dortmunder Philharmoniker oder die Neue Philharmonie Westfalen sowie das Programm der Ruhrtriennale ihren Anteil am Ruhrgebiets-Klassik-Kuchen beisteuern, lässt optimistisch in die Zukunft schauen. .

Bevor Generalmusikdirektors Tomáš Netopil gleich zu Beginn der Saison 2015/16 mit einem Schwergewicht der Musikgeschichte, Gustav Mahlers Sinfonie Nr. cis-Moll startet, steht ein vermeintliches Leichtgewicht am Anfang. Die Uraufführung Palingenia, eine Auftragskomposition der Essener Philharmoniker  der junge, 1975 geborenen slowakischen Komponistin Ľubica Čekovská überrascht mit impressionistisch gefärbter Tonsprache. Kein Leichtgewicht, sondern eine aus Naturbeobachtungen inspirierte Komposition. Während Mahlers Sinfonie ein ganzes Leben in 70 Minuten abhandelt, sind Čekovská für die Lebensstationen der Eintagsfliege Palingenia 25 Minuten Spieldauer nicht zu lang.

Anders als Insider vor der Aufführung von einem kurzen Gefälligkeitsstück raunten, ist ein ungewöhnlich instrumentiertes Konzert zu hören. Xylophon sowie verschiedene sanft klingende Schlagwerke weben mit einer dominanten Harfe abwechslungsreiche Klangteppiche.

Palingenia ist eine Komposition, die Tomáš Netopil und dem Orchester keine Einspielfreiräume bietet. Sie fordert sensible Aufmerksamkeit von den ersten Takten an. In der Essener Programmabfolge funktioniert sie wie das Vorspiel einer Oper. Generationen nach Mahler geboren, wird in ihrer Komposition ein ihm ähnlicher Anspruch hörbar: Dem Geheimnis von Entstehen und Vergehen nachzulauschen.

Während sich die Musiker nach diesem überzeugenden Auftakt in die Pause begeben, muss die Harfenistin nachsitzen. Das Instrument muss nach der Palingenia-Performance neu justiert werden. Auch Mahlers Komposition fordert die Harfe.

Die Sinfonie Nr. 5 cis-Moll von Gustav Mahler ist einen weiten Weg bis zu ihrer Anerkennung gegangen. Zweifelte Mahler nach der Uraufführung 1904 in Köln mit dem Gürzenich-Orchester noch an ihrer Instrumentierung – Die Fünfte ist ein verfluchtes Werk. Niemand capirt sie. -, erfreut sie sich, seit Luchino Visconti 1970 das Adagietto als Filmmusik für Tod in Venedig verwendet hat, auch außerhalb des Konzertsaales großer Beliebtheit.

Diese Jahrzehnte nach ihrer Uraufführung gewonnene Popularität sagt jedoch nichts über Gewicht und Stellenwert in der Musikgeschichte aus. Sie ist ein frühes Beispiel dafür, wie klassische Musik als ein Steinbruch benutzt wird, um dem Unterhaltungsmarkt Aufmerksamkeit zu verschaffen.

Die Sinfonie, unmittelbar nach der Jahrhundertwende entstanden, ist für Mahler auch eine ästhetische Wende. Es geht ihm darum, eine neue Musik für die neue Zeit zu komponieren. Wie die Moderne in den bildenden und darstellenden Künsten ist auch er auf der Suche nach erweiterten Ausdrucksformen. Für ihn ist es der Bruch mit der Tonarteneinheit bisheriger Sinfonien.

Auch wenn er schon mit der Bezeichnung cis-Moll für die Sinfonie nicht konsequent ist – in cis-Moll ist nur der Einleitungssatz komponiert -, zeugen die fünf gewaltig ausufernden, sich zu Kaskaden auftürmende Sätze von einer enormen Kraftanstrengung.

Tomáš Netopil lässt von Anfang an keinen Zweifel, dass er mit seinem Orchester eine Expedition verabredet hat. In aufmerksamer Balance von geballter Kraft und intuitiver Zärtlichkeit entgeht er der Gefahr, einem falschen Mahler-Pathos mit seinen Abwegen zu folgen.

Wie ihm das in dem allfälligen Adagietto gelingt, ist exemplarisch für sein Mahler-Dirigat an diesem Abend. Nicht vordergründige Auftakt-Betonungen sondern eine Tonstimmung heraus zu filtern, die einen Gesang ohne Worte zum Klingen bringt. Die intime Stimmung von Mahlers komponiertem Lied Ich bin der Welt abhanden gekommen, nach einem Gedicht von Friedrich Rückert als Liebeserklärung an Alma Mahler erdacht, in einem Konzert hörbar zu machen, ist eine besondere Herausforderung für jede Aufführung der Fünften.

Netopil gelingt das exzellent. Genauso wie er das Orchester durch düstere Funebre-Stimmungen in eine kraftvolle Apotheose leitet. Um diesen magischen Klang zu erreichen, muss vor allem auf das Blech absolut Verlass sein. Die Auftakttriolen der Solo-Trompeten wie später im 3.Satz auch das Solo-Horn wischen alle aufkommenden Zweifel weg.

 Tomáš Netopil ist endgültig in Essen angekommen. Sympathischer, aber nicht enthusiastischer Applaus am Schluss kann als Statement des Essener Publikums verstanden werden, das vor allem auf verlässliche  Nachhaltigkeit setzt.

Eine Nachbemerkung, die nichts behauptet, gleichwohl nicht ungenannt bleiben sollte: Dass das in Duisburg gespielte Konzert für Violine und Orchester Nr. 2 von  Dmitrij Schostakowitsch wie auch Mahlers Sinfonie Nr. 5 mit der seltenen Tonart cis-Moll bezeichnet ist, ist zeigt eine interessante Duplizität.

11.09.2015

Über Peter E. Rytz Review

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