
Vladimir Dubossarsky/Alexander Vonogradov, What the Homeland Beginns With (2006) © Peter E. Rytz 2017
Bern punktet öffentlichkeitswirksam nicht nur mit den Bären. Seit einigen Jahren zeigen sie sich der Berner Bevölkerung sowie den Touristen neben dem angestammten Bärengraben in einem erweiterten, weitläufigen Areal.
Bern verfügt mit dem Kunstmuseum – das älteste Kunstmuseum der Schweiz überhaupt; von Eugen Stettler erbaut, 1879 eröffnet – und dem Zentrum Paul Klee – von Renzo Piano gebaut, 2005 – über zwei Leuchttürme der Modernen Kunst.
Mehr Platz für die Bären, mehr Platz für die Kunst, scheint sich die seit 2016 amtierende Kunsthistorikerin Nina Zimmer als Direktorin beider Häuser auf die Fahne geschrieben zu haben.
Für die Kunst ein Glücksfall. Die Ausstellung Die Revolution ist tot! Lang lebe die Revolution! (noch bis 09.07.2017) verbindet in zwei Kapiteln beide Häuser miteinander. Im Zentrum Paul Klee illustrieren die Kuratoren Michael Baumgartner und Fabienne Eggelhöfer mit ausgewählten Positionen, welche nachhaltigen Spuren die russische Avantgarde mit ihrer radikal gegenstandslosen Bildsprache bis 1917 und danach in der späteren Moderne gelegt hat: Von Malewitsch bis Judd.
Malewitsch suprematistische Geniestreiche oder Wassily Kandinskys abstrakte, Farbe und Musik verbindende Bildkompositionen sowie Ikonen der Fotografie von Alexander Rodtschenko und Fotomontage von El Lissitzky (Selbstportrait, 1924) oder von László Moholy-Nagy (Komposition, 1922), oft in Ausstellungen gesehen, faszinieren sie immer wieder aufs Neue. Kuratorisch feinsinnig gesetzte Fixpunkte, die auch Arbeiten, die im überhitzten Ausstellungsbetrieb weniger präsent sind, wie Theo van Doesbergs Glasmalerei (Komposition VIII, 1918) sind ein wichtiger Bestandteil der dem 100. Jahrestag der russischen Oktober-Revolution gewidmeten Kunstausstellung.
Die Ausstellung im Zentrum Paul Klee überzeugt durch einen Parcours, der vielfältige Möglichkeiten des differenzierten Vergleichs unterschiedlicher Kunstpositionen ermöglicht. Sinnlich lustvoll wie auch aufklärerisch bildend. Dass ihre museumspädagogische Didaktik funktioniert, zeigt sich an diesem sonnigen Mittag an zufälligen Begegnungen mit 12 – 15jährigen Schülern vor ausgewählten Werken. Neben der üblichen Lust am Herumalbern überwiegt ihre konzentrierte, interaktive Aufgeschlossenheit. Sie legt mithin Zeugnis davon ab, dass selbst eine so anspruchsvolle, nicht leicht zu konsumierende Ausstellung auch ein jüngeres Publikum erreicht.
Mit diesem Hoffnungsschimmer im Gepäck erwartet der Besucher im zweiten Ausstellungsteil im Kunstmuseum Bern – Von Deineka bis Bartana – keine einfachen Antworten, warum der an Abstraktion und Ungegenständlichkeit orientierte Aufbruch in die Moderne in den Niederungen des sogenannten sozialistischen Realismus strandete.
Besonders interessant und aufschlussreich ist dieser Ausstellungsteil vor allem deshalb, weil er einer einseitigen ideologischen Indoktrination entgeht. Wie ein Wanderer, der nach einer erfolgreichen Bergbesteigung euphorisiert in die Niederungen zurück kehrt, weicht ursprüngliche, Phantasie befeuerte Faszination fast notwendigerweise wenigstens für Momente den Geboten des Alltags.
Sich aber im Alltäglichen nicht zu Selbstgefangenen zu machen, indem man sich weitere Träume, allfällige Hoffnungen auf eine andere Zukunft als self fulfilling prophecy verbietet, genau darin bestand für viele Künstler nach den gesellschaftlichen Umbrüchen 1917 mit dem Aufbau des stalinistischen Regimes auch eine künstlerische Notwendigkeit.
Persiflage, Camouflage, Zitat sowie Variation künstlerischer Formensprache der Kunstgeschichte zeugen von Malewitsch selbst – Mädchen auf dem Feld, 1928/29 – bis zu Erik Bulatovs Arbeiten, die, wie mit Two Landscapes on a Red Banner Background (1972/74) die Wahrnehmung von Raum und Zeit a la René Magritte variieren, von einem subjektiven, authentischen, künstlerisch ambitionierten Findungsprozeß.
Der zweite Ausstellungsteil zieht einen weiten Bogen, der bis in die unmittelbare Gegenwart reicht. Das Corporate Design der Ausstellung geht auf einen Ausschnitt der großformatigen Ölmalerei What the Homeland Beginns With (2006) zurück. Dass Vladimir Dubossarsky und Alexander Vonogradov, beide in der Hochphase des Kalten Kriegs in den 1960ger Jahren geboren, gemeinsam damit fragen, wo in einer globalisierten Welt Heimat anfängt, was sie heute noch bedeuten kann, ist durchaus programmatisch zu verstehen.
Eine lange, dornenreiche, trotz alledem hoffnungsvolle Wegstrecke von der radikalen Ernüchterung Die Revolution ist tot! bis zur trotzigen Behauptung Lang lebe die Revolution! haben das Kunstmuseum Bern und das Zentrum Paul Klee beispielhaft in Szene gesetzt.
Der Ausstellungstitel geht bewusst auf die französische Heroldsformel Le roi est mort, vive le roi zurück. Die ihr zugrunde liegende royalistische Kontinuitätsaussage assoziiert die Kunstausstellung auf ihre eigene Weise. In den Arbeiten, die nach 1917 entstanden sind, offenbart sich trotz aller Brüche und Wandlungen im Kern eine Kontinuität, die Welt abbildend vielleicht ein bischen besser zu verstehen.
Die nur noch wenige Tage zu sehende Ausstellung 1917 Revolution. Russland und die Schweiz (noch bis 25.06.2017) im Landesmuseum Zürich ergänzt und erweitert die Berner Ausstellung mit einer hochinteressanten Schweiz-Binnenperspektive (1917 und die Folgen vom 18.06.2017, hier veröffentlicht).
22.06.2017