Wenn heute über Fotografie gesprochen wird, ist für viele klar: Selfies, unendliche Fotoserien von Irgendwas im Irgendwo der global entzauberten Welt. Wo sich noch vor wenigen Jahrzehnten Familien und Freunde vor einem Diaprojektor versammelten, um die projizierten Urlaubseindrücke, Hochzeiten, Taufen oder besondere Geburtstage in Erinnerung zu rufen, findet sich heute kaum jemand mehr ein. The Dia-Game is over.
Schon damals war das nicht immer das reine Vergnügen. Quälend eintönige Bildfolgen haben mitunter vielen Wohlmeinenden den Schweiß in die Stirn getrieben. Der triumphal angekündigte Dia-Abend wollte kein Ende nehmen. Im schlimmsten Falle waren schlussendlich aufgekündigte Freundschaften zu bilanzieren.
Und heute? Alles just in time, digital, alles super? Mitnichten, auch mit cool geschmeidiger Hand gewischte Fotografien auf dem Handy- oder Tablet-Display reißen kaum noch jemanden wirklich vom Hocker.
Neulich hat mir ein Freund folgendes erzählt: Ich hab‘ noch einmal meinen alten Dia-Projektor abgestaubt und mir einige meiner alten, geliebten Dias angeschaut. Kapituliert vor der in ihnen von Dia zu Dia immer deutlicher werdenden fotografischen Langeweile, habe ich sie in eine Plastiktüte geworfen – und sie in der Mülltonne entsorgt. So persifliert der Kunsthistoriker Falko Herlemann launig zur Eröffnung der Ausstellung in Formation IV – das Licht ist blind von Gabriele Klages in der Künstlerzeche Unser Fritz in Herne.
Hätte dieser Freund vorher der Künstlerin Gabriele Klages von seinem Entsorgungsvorhaben Kenntnis gegeben, wären sie möglicherweise der Müllentsorgung entgangen. Seit Jahren sammelt sie Dia-Rahmen und Dia-Positive, demontiert sie und setzt sie zu Readymades und Mobilen neu zusammen. In mühseliger, aufwendiger Handarbeit arrangiert und tuckert sie beispielsweise Positive zu einem Kreis-Objekt.
Bestehend aus Dia-Dokumentationen verschiedener Kunstmuseen ist es, als würde in dem hinterleuchteten Kreis-Korpus (Radius: 1,50 m!), die Kunstgeschichte in vielfachen Facetten aufscheinen. Erst bei genauerem Hinsehen löst sich das Bildgeheimnis auf. Zöge man eine Lupe zu Rate, könnten man zwar faktisch mehr sehen, andererseits aber verlöre die Installation ihre Magie.
Einen riesigen Dia-Positiv-Teppich (ca. 2 x 3 m), gewebt, respektive geklebt aus Hunderten von einzelnen Foto-Positiven, umweht ein mythisch meditativer Hauch. Durch die Installation auf der Wand wird er in einen kontemplativen Fokus transformiert.
Mit solchen Irritationen der Wahrnehmung dekliniert Klages in Formation IV – das Licht ist blind Aspekte des Fotografierens durch, justiert analoge Bildträger in einem Raum, legt Dia-Positiv-Spuren von der Vergangenheit in die Gegenwart. Dem aufmerksamen Ausstellungsbesucher legt sie subtile Fährten in die Kunstgeschichte.
Ein auf einer Nadelspitze befestigtes, fast bild-leeres Dia, das auf einer Wand kreist, initiiert Assoziationen, die eine Linie zum Mobile Dialog der Hämmer (1995), einer Arbeit von Rebecca Horn, ziehen. Der bespielte, geheimnisvoll dunkle Raum erinnert an Rooms of Memories von Christian Boltanski. Im Halbdunkel entziffern sich historische und biografische Lichtspuren.
Die neben den Fotoarbeiten ausgestellten, von einer zentralen Lichtquelle beleuchteten Kunsthandwerk-Gläser entwickeln nicht deren Imaginationskraft. Schlierend fahles, gestreutes Licht tanzt im Hintergrund. Lichtspuren gleich, verschatten sie farbenreich die Wände. Schöne Lichtspiele – mehr aber auch nicht.
Allein die von Klages fotografiehistorisch reflektierte, belichtete, mit viel assoziierendem Feingefühl ausgestatte Inszenierung eines ehemaligen Wäsche-Kaue-Raumes der Zeche Unser Fritz lohnt den Besuch allemal (noch bis 15.12.2019).
26.11.2019