Stephan Balkenhol ist als Bildhauer ein Phänomen. Der Namen wird vielen, die mit bildender Kunst wenig vertraut sind, möglicherweise kaum etwas sagen. Dagegen sind seine Holzskulpturen in deutschen Großstädten, wie in der Kaufinger Straße in München oder im Eingangsbereich eines großen Kaufhauses in Berlin vis-a-vis des Marx-Engels-Forums, allgegenwärtig. Ebenso begegnet man ihnen in kleineren Städten, beispielsweise in Kleve. So spektakulär in der figurativen, teilweise überdimensionierten Präsenz, so eher unspektakulär das Dargestellte – übersichtlich klar häufig ein Mann in schwarzen Hosen und weißem Hemd sowie eine Frau in einem einfarbigen Kleid.
Diese doppelten Momente von Alltäglichkeit und Einzigartigkeit zeigt eine Ausstellung im Lehmbruck Museum Duisburg (bis zum 28.02.2021 terminiert; vorerst aber wie alle Museen geschlossen!). Unprätentiös, sachlich konkret ihr Titel Stephan Balkenhol. Der Name steht für sich. Objekte aus verschiedenen, für den nicht unbedingten Holz-Experten fremd bis exotisch klingenden Hölzern – Packholz, Sperrholz, Wawaholz, Pappelholz, Douglasie – von Balkenhol gesägt, gehauen, gekerbt, geschnitzt, gedrechselt und geschmirgelt, werden unter seiner Hand zu Produkten einer künstlerischen Auseinandersetzung von Figur und Raum.
Objekte verlebendigt zu Balkenhol-Subjekten. Einfach so? Für Balkenhol ist das handwerklich gelernte, scheinbar Einfache, das Stück für Stück zu dem Eigentlichen wird, das Schwerste. Das Einfachste ist das Schwerste und zugleich das Grundsätzlichste.
Geprägt von Bildhauergenerationen von der Antike über die Moderne bis in die Gegenwart, sublimieren seine Figurationen in einem eher anti-modernen Kontext grundsätzliche Dinge. Dinge, die sich seit Menschengedenken eigentlich nicht so sehr verändert haben, zitiert die Museumsdirektorin Söke Dinkla im zwischen Text- und Bildteil ausgewogen gestalteten Katalog das Selbstverständnis Balkenhols.
Balkenhol, und das zeigt die Ausstellung deutlich, ist kein Mann konzeptioneller Ideen, sondern einer, der mit seinen Skulpturen einen narrativen Bilderkosmos schafft. Vor allen Worten ist ihm das Bild, die Figur ohne hochmögende Aufladung wesentlich. Erzählungen in Formen des Monologs wie des Dialogs, in denen das, was Philosophen und Psychologen mit Wiedererkennung des Selbst bezeichnen mögen, scheinen als lebendige Wirklichkeit auf. Alltäglich, schlicht, ohne Idealisierung selbst da, wo Balkenhol Figuren aus einer uns heute vielfach fernen Zeit der griechischen Mythologie zum Gegenstand macht, sind sie nie nur Zitate. Sie öffnen Türen zu einem kulturellen Bildergedächtnis, das vertraut erscheint.
Sicher ist dies auch ein Grund dafür, dass seine Skulpturen im öffentlichen Raum eine in Zeiten der millionenfachen Bilderfluten leicht zu übersehende Selbstverständlichkeit zeigen. Auf dem Sockel stehen keine Berühmtheiten. Der Mann, die Frau auf den Sockeln rühmen vielmehr den bekannten Unbekannten aus der Nachbarschaft.
Aphrodite Bronzetto (2016) ist keine kanonische Göttin der Liebe und Schönheit, vielmehr eine Frau, deren Schönheit sich in nachdenklich hockender Pose im Selbstversuch alltäglicher Erfahrungen entdeckt. In Corona-Zeiten, in denen Bewegungs- und Freiheitsräume eingeschränkt sind, werden Kategorien von Schönheit und Liebe auf die Nagelprobe gestellt. Schönheit, von Platon in seiner Theorie des Schönen im Symposion als höchster Wert der Menschheit beschrieben, wird, das mag uns diese Balkenhol-Aphrodite beispielhaft zeigen, vor allem dann nachhaltig sein können, wenn sie auf die Kraft der Liebe zu anderen vertraut.
Im zentralen Raum der Ausstellung, gewissermaßen im Scheitelpunkt des Ausstellungsrunds, sitzt Der Denker (1990), Balkenhols Arbeiten betrachtend, eingerahmt von Kalendern der letzten Jahre, aus quadratisch zugeschnittenen Hölzern gekerbt. Es ist, als würde Balkenhol selbst dort sitzen und sagen: Seht, so sind wir. Das könntest Du oder Du sein. Konjunktivisch formulierte Projektionsflächen von Subjekt und Welt: Nichts ist wirklich sicher.
Daneben wirken die ausgestellten Tierfiguren irgendwie fehl am Platze. Eine Facette, die sich schnell vergisst, wenn sie mehr ist als eine isolierte Tierfigur. Ein aus Wawaholz herausgearbeiteter, farbig bemalter Fasan von 2018, auf einer Fototapete – unscharf ist eine leere, trostlos wirkende Straße zu sehen – fixiert, schreitet einen Raum ab, der allen gehört. Den Tieren und den Menschen. Ohne Pathos und Dramatik bevölkern Balkenhols Figuren den gewöhnlichen Alltag als ein unendliches Universum.
Am kommenden Freitag, 11. Dezember 2020, um 15 Uhr, bietet das Lehmbruck Museum eine öffentliche Online-Führung durch die Ausstellung an (Zoom-Videokonferenz nach Anmeldung).
09.12.2020