Eine Wiederaufnahme, die ihren Kultstatus referenziert

Barrie Kosky (Jahrgang 1967) gehört zu den interessantesten Opernregisseuren seiner Generation. Als kreativer Künstler mit dem Image eines Agent Provocateur lassen seine Inszenierungen nichts aus. Sie können verstören, von der Kritik verrissen, vom Publikum abgelehnt werden. Sie sind immer ein Ereignis, das Spuren hinterlässt.

Diese Spur zieht sich von der Komischen Oper Berlin, wo er von 2012 bis zum letzten Jahr Intendant und Chefregisseur war, über das Opernhaus Zürich, die Bayreuther Festspiele bis ans Aalto Musiktheater Essen. Seine Essener Wagner-Inszenierung Tristan und Isolde von 2006 gilt inzwischen als Referenzinszenierung mit Kultstatus. Jetzt gibt es eine bemerkenswerte Wiederaufnahme mit Catherine Foster und Bryan Register, aufauthentische in Szene gesetzt von Marijke Malitius.

Unter der musikalischen Leitung von GMD Andrea Sanguineti ist mit den Essener Philharmonikern und dem Opernchor des Aalto-Theater (von Klaas-Jan de Groot situativ vom 1.Rang gut vorbereitet) ein Revival zu erleben, das so frisch und überzeugend wie vor 18 Jahren für sich einnimmt. Unüberhörbar Richard WagnerEs ist der Gipfel meiner bisherigen Kunst – in exquisiter Hör-Qualitätshöhe die Interpretation von Kosky – Tristan und Isolde ist eine Fuge der Sinne.

Mit Tristan und Isolde hat Wagner eine Zäsur in der Musikgeschichte gesetzt, die ihre Wirkung bis heute zeitigt. Nicht nur, weil seine kompositorische Motiv-Technik hier in besonderer Weise zu einer tiefen Emotionalität führt. Mit Tristan und Isolde machte er seine Liebe zu Mathilde Wesendonck öffentlich. Auch zu einem öffentlichen Spektakel.

Denn Wagner wäre nicht Wagner, wenn er nicht mitunter auf geradezu diabolische Art und Weise bereit gewesen wäre, Vertrauen und Liebe zu ihm nahestehenden Menschen seiner Überzeugung vom eigenen Genie zu opfern. Nicht zuletzt aus den damit verbundenen physischen und psychischen Verwundungen, ihren emotionalen Fallhöhen, beziehen seine Opern eine suggestive Transzendenz, der man sich beim Hören kaum entziehen kann.

Kosky hat sich von Klaus Grünberg eine Guckkastenbühne bauen lassen. Wenn zu den Paar-Konstellationen von Isolde und Brangäne oder Isolde und Tristan weitere Akteure (Kurwenal, Melot, Marke) hinzukommen, wird der Raum eng. Es ist, als würde er aus allen Nähten platzen und den Menschen die Luft zum Atmen nehmen. Die Inszenierung fokussiert und distanziert gleichermassen. Dem Auge bieten sich aufgrund eines fehlenden weiten Bühnengrunds kaum Ablenkungsmöglichkeiten. Das Hören bietet keine Chance, sich zu ver-hören. Der Guckkasten fokussiert alle Aufmerksamkeit. Die räumliche Kleinheit fordert Konzentration im hohen Maße. Andererseits wird durch die kleine Bühne auf der großen Bühne eine raumgreifend ausschweifende Identifikation mit Wagners Musikdrama kreativ unterlaufen.

Catherine Foster bietet als Isolde ein der Komposition würdiges kongeniales Erlebnis. Getragen von dramatisch gestaltetem Sopran, der durch alle Höhen und Tiefen scheinbar mühelos ausdrucksvoll auf- und absteigt, sowie einem leidenschaftlich inspirierenden Spiel mit einer überwältigenden Bühnenpräsenz. Die Foster, die Wagner-Sängerin unserer Zeit.

Neben diesem Monument zu bestehen, ist für alle Sänger auf allen Bühnen eine Herausforderung. Register nimmt sie mit Respekt im ersten Akt an. Sein lyrischer Tenor befindet sich teilweise noch im Modus des Suchens. Viel Kraftaufwand, wo mitunter weniger mehr wäre. Im zentralen Liebesduett des zweiten Aktes mit Foster verliert sich seine Artikulation passagenweise in den Ecken des sich drehenden Guckkastens.

Alles ist in Bewegung, nichts mehr an seinem angestammten Platz, oben und unten vertauscht, auf den Kopf gestellt. Oh, süße Nacht! Ew’ge Nacht! Hehr erhab’ne Liebes-Nacht! Eine exzellente Koinzidenz der musik-dramatischen Perspektive von Gesang und Bewegung, die die Zuhörer unwillkürlich in Trance versetzt. Mit König Markes Auftritt (Sebastian Pilgrim mit wortdeutlichem, gelegentlich untertourigem Bass)bleibtdie Bühne nach einer und einer halben Umdrehung kopfüber stehen. No exit! Der nachtverschattete Tristan-Isolde-Raum ist nicht mehr von dieser Welt.

Koskys Inszenierung räumt der Mezzosopranistin Bettina Ranch als Brangäne sowie dem Bariton Heiko Trinsinger als Kurwenal viel Platz zur Rollengestaltung ein. Beide überzeugen in diesem Setting stimmlich und spielerisch. Ranchs Mezzosopran hat ein tief sattes, dunkles Timbre. Wachet auf! Schon weicht dem Tag die Nacht! Als Brangäne mahnt sie Isolde nicht nur zur Vorsicht, sondern reagiert für Isolde dort, wo jene den Überblick verliert. Ähnlich vereinigt Trinsingers Bariton einen kraftvollen und zugleich lyrischen Ton.

Mit Fosters beseelt gesungenem Liebestod-Solo setzt die Inszenierung einen nachdenklichen Schlussakkord. Nach Ende des Solos steht Isolde auf und legt sich zum sterbenden Tristan. Mit dem Verlassen des Wolken-Kuckucksheim des Guckkastens ist eine Liebe unter den gegebenen Umständen nicht mehr möglich, nicht mehr lebensfähig. Die Zukunftshoffnung signalisierenden Lämmer sind schon vorher von verschatteten (Hirten-?) Figuren von der Lebens-Bühne abgeräumt worden.

Dass der Applaus für Foster alle anderen um Phon-Stärken übertönt, war zu erwarten. Dass sie ihren Bühnenpartner Register bei den mehrfachen Vorhängen keines Blickes würdigt, hinterlässt einen nachdenklich fragenden Eindruck.

29.04.24  

Über Peter E. Rytz Review

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