Please touch! – Do not touch?

Es sind gegensätzliche Wahrnehmungen, die den Ausstellungen Tony Cragg. Please touch! und Size Matters. Größe in der Fotografie im Kunstpalast Düsseldorf Raum geben. Während in der Cragg-Schau das in Kunstausstellungen weltweit übliche, beinahe programmatische Verbot – Die Kunstwerke nicht berühren! – aufgehoben ist, wird es wenige Meter entfernt im selbigen Haus eine Etage tiefer bei Size Matters wieder in Kraft gesetzt.

Einerseits ist der Kunstpalast stolz auf die Einrichtung einer ersten umfangreichen Präsentation in einem Museum, in der sämtliche Bildwerke ertastet und erfühlt werden dürfen. Andererseits gilt nebenan wieder Please, Do not touch. Konsequent auch für zwei Cragg-Skulpturen, die sich in die formatierten Größenverschiebungen der ausgestellten Fotografien eingeschlichen zu haben scheinen. Ebenso ist ehrfurchtsvoller Abstand vor einem Stapel privater (?), festverschnürter Fotoalben geboten.

Dass für Cragg die Wahrnehmung seiner Arbeiten eine immens sinnliche, existentielle ist, lässt sich in der Ausstellung vielfach beobachten. Eine Gruppe älterer Damen stimmt darin überein, dass in den aus Holz gefertigten Arbeiten eine angenehme Wärme zu spüren ist. Das mache sie zugänglicher, auch sympathischer, als würde man einen Bekannten freudig begrüßen und umarmen. Das tun tatsächlich viele Ausstellungsbesucher. Es ist, als würde das hölzerne Please touch! gegenüber der unmittelbar erfahrenen Kühle von Glas und Stahl eine Sehnsucht erfüllen, die mit dieser Unmittelbarkeit ansonsten auf Distanz der visuellen oder auditiven Wahrnehmung reduziert ist.

Please touch!ist ein Renner, ein Publikumsmagnet, der wenige Wochen vor dem Ausstellungsende schon mehr als 100.000 Besucher angezogen hat. Eine Relevanz der öffentlichen Zustimmung, die ansonsten nur entsprechend kalkulierte und gehypte Blockbuster-Ausstellungen für sich in Anspruch nehmen können. Die Botschaft einer Teilhabe des Publikums mit allen Sinnen in einer Kunstausstellung ist offensichtlich. Und dass sie schnell an ihre Grenzen, auch die des Eigentumsrechts von vor allem privaten Sammlern stoßen kann.

Dabei ist anzumerken (und anzuerkennen), dass eine Konkurrenz öffentlich geförderter Häuser mit ihrem vergleichsweise bescheidenen Ankaufsbudget nicht wirklich gegeben ist. Ihr Kapital sind die häufig über mehr als 100 Jahre gesammelten Werke aus finanziell besseren Zeiten und Donationen. Von daher verbieten konservatorische Gründe, respektive Werterhaltung für Bereitstellung und gegenseitigen Austausch für Ausstellungen eine generelle Freigabe.

Nichtsdestotrotz ist nach dieser für den Besucher umfassend wahrnehmbaren Ausstellungserfahrung die Frage nach Kommunikation und Interaktion zwischen Kunstwerk, Ausstellungsort und den Bedürfnissen der Besucher, mit diesem Perspektivenwechsel geradezu provoziert, mehr in den Blickpunkt geraten als bisher.

In dem die Ausstellung begleitenden Interview sind sich Generaldirektor Felix Krämer und Cragg anfänglich einig. Durch Berührung werden die Arbeiten nicht besser. Eigentlich… Für Cragg selbst spielt dieser Aspekt bei der Arbeit an seinen Werken keine Rolle. Wie sich das anfühlt? So denke ich nicht. Mir ist die visuelle Wahrnehmung das Eigentliche….Dass Menschen (Sammler) mit meinen Arbeiten leben wollen, ist schon verrückt.

Verrückt geht auch, wie in Size Matters zu erfahren ist, ganz anders. Maßstäbe im fotografischen Bearbeitungsprozess zu verrücken, kann man als Sinnbild verrückter Bedeutungsverschiebungen verstehen. Was groß und was klein, was richtig und was falsch ist, öffnet variable Sehräume. Das Authentische misst sich mit Momenten von Reflexion und Assoziation. Die Formate der Bildrezeption spielen verrückt. Absichtsvoll keine Dokumentation einer Realität, die letztlich nur subjektiv sein kann und damit allein für den Fotografierenden in diesem einen Moment seine Realität sein kann. Die Realität in der Kunst ist die Imagination.

Size Matters bietet eine Vielzahl von Möglichkeiten, die Dinge der Weltwahrnehmung im Großen wie im Kleinen als eine Befreiung von einer suggerierten Eindeutigkeit zu sehen. Denn, diese gibt es nicht. Kontrolle über die Dinge haben zu wollen, ist vielleicht das größte Missverständnis einer sich aufgeklärt gebenden Gesellschaft.

09.05.24
photo streaming Tony Cragg

Über Peter E. Rytz Review

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