Wuppertaler Schönheiten

Otto Dix, An die Schönheit, 1922 © Von der Heydt-Museum Wuppertal

Das Von der Heydt-Museum Wuppertal gibt sich in Schönheit selbstbewusst. Dafür hat es allen Grund. Es verfügt über eine großartige Sammlung der Kunst der letzten 200 Jahre. Werke, die im Depot als Bilderbank bewahrt und gepflegt werden, doch eher selten zu sehen sind, präsentiert das Museum jetzt. Es sind die rund 160 Stars der Sammlung: An die Schönheit.

Man kommt beim Ausstellungsrundgang aus dem Staunen nicht heraus, welche großartigen Werke das Wuppertaler Museum sein eigen nennt. Arbeiten von Picasso, Munch, Beckmann, Dix oder Münter würde manch unabhängig Befragter, ob sie aus Sammlungen in London, New York, Paris oder Wuppertal stammten, eher weniger wahrscheinlich für letztere Stadt votieren.

Dem seit April diesen Jahres neu berufenen Direktor Roland Mönig ist bei der Pressekonferenz sein Stolz anzumerken, Schatzmeister des Schönen zu sein. Museum als Ort offener Möglichkeiten, wo man sehend etwas wahrnehmen und verstehen kann, das sich allein durch Erfahrungslogik nicht erklären lässt. Die Neonschrift It’s possible to image that all impossible images exsists in the field of all possibilities von Maurizio Nannucci im Museumsfoyer liest sich wie ein dazu passendes Credo.

Das Corona-Virus hat neben vielen anderen Beschränkungen auch eine kommunikative Haltelinie erzwungen. Sie bewirkt für jedes Museum ein pragmatisches Umdenken. Kreative Online-Angebote sind vorerst eine Antwort. Insgesamt werden sich Museen aber insgesamt neu definieren müssen, wenn sie weiterhin exklusive und notwendige Ort bleiben werden, in denen sich Menschen vor den ausgestellten Werken leibhaftig begegnen können. Ihre Wahrnehmungen mit anderen austauschen, kritisch reflektieren, bildende Kunst mit ihrer Widersprüchlichkeit von Zustimmung und Ablehnung als Feld lebenslangen Lernens zu erfahren.

Die Kategorie Schönheit ist nie eindeutig, sondern immer eine im Vielen. Nach Platon gibt es das Schöne, wie auch das Gute, nur an sich, nicht aber als allgemein gültige Bestimmung. Der Ausstellungstitel An die Schönheit, der Otto Dix‘ Leinwand von 1922 zitiert, spielt assoziativ mit Platons metaphysischem Kontext. In Zentrum des Bildes steht Dix selbst mit den Attributen eines Künstlers als Repräsentant des Übergangs von der Vorkriegstradition in die Offenheit einer Moderne danach, die sich neu finden muss.

Exemplarisch dekliniert Dix mit An die Schönheit das Versprechen eines Neuanfangs durch, den er mit der Künstlervereinigung Junges Rheinland initiiert hat. Die Ausstellung Das Junge Rheinland 2019 im Museum Kunstpalast Düsseldorf verifiziert im Untertitel ironisch mit Max Ernsts ingeniösem Gemälde La vierge corrigant l’enfant Jésus devant trois témoins: André Breton, Paul Eluard et le peintre (1926)  einen allfälligen Zweifel: Zu schön um wahr zu sein (Was 100jährige Jubiläen von Künstlervereinigungen erzählen vom 04.04.2019, hier veröffentlicht). Die Wirklichkeit ist nicht immer schön, manchmal geradezu brutal.

Der kunstgeschichtlichen Chronologie der ausgestellten Werke von der Romantik über das  Biedermeier (Johann Martin von Rhoden, Grotta Ferrata, um 1805 oder Carl Blechen, Kloster Santa Scholastica bei Subiaco, um 1830) zum Impressionismus (Claude Monet, Blick auf das Meer, 1888) und Expressionismus (Wassily Kandinsky, Riegsee – Dorfkirche, um 1908), Kubismus bis Pop Art und Konzeptkunst folgend interveniert die Kuratorin Antje Birthälmer gegen diese chronologische Reihenfolge, indem sie impressionistische Meisterwerke zum Auftakt versammelt. Von da aus reflektiert die Ausstellung, rückwärts und vorwärts gewandt, Sammlungsschwerpunkte und –gewichte. Selten ausgestellte Arbeiten wie Zahlenbild 4 (1964) von Robert Indiana oder Nr. 22, House Painting (1971) von David Hepher oder skulpturale Arbeiten von Rainer Ruthenbeck oder George Segal vervollständigen die ausgestellten Preziosen von Pablo Picasso und Fernand Lèger bis Ferdinand Hodler und Francis Bacon.

Beim Durchblättern des Sammlungsbandes des Von der Heydt-Museums von 2003 (!) gemahnt der etwas muffige Geruch nachdrücklich daran, dass An die Schönheit nach einem neuen, duftig frisch atmenden Sammlungskatalog verlangt. Dass Hephers genannte zweiteilige Ölarbeit auf Leinwand nicht im vorliegenden Band enthalten ist, verstärkt dieses Bedürfnis.

Vorerst bleibt erst einmal bis Ausstellungsende am 3. Oktober 2021 viel Zeit, um sich auch mehrmals an und von der Schönheit in die je eigene Lebenswirklichkeit begleiten zu lassen.

Aber das ist in Wuppertal in diesen Tagen noch nicht alles. Dark Light (1998) von Sean Scully in der Ausstellung ist gleichzeitig ein Ankerpunkt für die große Scully-Ausstellung Insideoutside, die zeitparallel im Skulpturenpark Waldfrieden eröffnet.

Sean Scully, 12 Triptychs, 2008 and Stacks with Tony Cragg @ Peter E. Rytz 2020

Tony Cragg, Bildhauer, Initiator und Stiftungsgeber des als gemeinnützig anerkannten Skulpturenparks, ist beim Pressetermin stolz und freudig gestimmt, mit Scully einen Bildhauer auszustellen, dessen Arbeiten immer und sofort als ein Scully zu erkennen seien. Abstrakt in vertikaler und horizontaler, malerischer Streifigkeit, monumental in den skulpturalen Formen. Abstrakt allerdings nur insofern, wie seine Arbeiten in Erinnerung daran, dass er als junger Mann Kisten stapelte, nach eigener Überzeugung immer ein Bildnis des eigenen Zustands sind.

Die Ausstellung zeigt im oberen gläsernen Rundpavillon ein zwölfteiliges Ölgemälde auf Kupfer (12 Triptychs, 2008) zusammen mit einem seiner typischen, neueren Stacks. Ähnlich den Triptychs reminisziert Grid (1972 – 2019) in der unteren Ausstellungshalle seine frühe Auseinandersetzung mit dem Spannungsverhältnis von Malerei und Skulptur.

Dass in diesen Tagen die Skulptur Moor Shadow Stack (2018) vom LWL-Museum Münster, nachdem sie 14 Monate dort den Platz vor dem Museum dominierte, direkt nach Wuppertal kommt, ist Ausdruck einer hohen Wertschätzung Scullys. Retrospektiven im Modern Art Museum of Fort Worth und in der Ungarischen Nationalgalerie in Budapest unterstreichen das nachhaltig.

Tony Cragg skypt with Sean Scully @ Peter E. Rytz 2020

Gleichzeitig hält die Ausstellung im Skulpturenpark (bis 03. Januar 2021) auch einen entdeckungsreichen Work-in-progress-Charakter vor. Im Herbst wird Scully vor Ort ein Landline-Gemälde auf Glas schaffen. Weiterhin wird er ähnlich der Skulptur Sleeper Stack von 2019 aus lokalem Kalkstein eine Skulptur in situ erarbeiten.

Genug Gründe also, nach Wuppertal zu kommen, wo jeder Ausstellungsbesucher Insideoutside seine eigene Hommage An die Schönheit formulieren kann.

photo streaming An die Schönheit
photo streaming Sean Scully
16.06.2020

Über Peter E. Rytz Review

www.rytz.de
Dieser Beitrag wurde unter Kunstausstellung veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.