Dido and Aeneas verschattet

Foto: Bettina Stöß/TUP

Die Premiere von Henry Purcells einziger Oper Dido and Aeneas findet 2022 nicht – wie zur Londoner Uraufführung 1689 – in einem Mädchenpensionat statt. Gleichwohl erweckt die überschaubare Zahl der Premierengäste im Aalto-Musiktheater Essen den Anschein des Privaten. Zwanglos plaudernd, sich den Staub des vergangenen Jahres aus Kostüm und Anzug schüttelnd, schwebt im Foyer eine spannungsvolle Erwartung. Werden die Aalto-Protagonisten und die Opernbesucher in diesem Jahr endlich wieder mehr Licht am pandemieumwölkten Himmel erwarten können?

Purcells einstündiger Parforceritt durch die griechische Mythologie mit der dramatischen Fokussierung auf die unglückliche Liebe einer Frau zu einem leichtfertig diese Liebe verschmähenden Mann verspricht einen musikalisch ambitionierten, kurzweiligen Aufgalopp in die zweite Hälfte der Saison 2021/22. Die Konstellation zwischen Dido, der Königin von Karthago, die sich trotz entflammter Leidenschaft gleichzeitig in staatstragender Verantwortung sieht, und Aeneas, dem trojanischen Helden, der von den Göttern bestimmt ist, in Rom ein neues Troja zu gründen, verbindet Glück und Leid zu einer Tragödie. Ein Stoff par excellence, der für eine bewegend inspirierte Operngeschichte wie gemacht ist.

Das Libretto von Nahum Tate nach dem 4.Gesang der Aeneis von Vergil erzählt die römische Odyssee des Aeneas nach dem trojanischen Krieg. Er flieht über das Mittelmeer nach Karthago mit dem Auftrag Jupiters, in Italien ein neues Reich zu gründen. Jupiters Willen und Machtanspruch wird zum Fatum der aufkeimenden Liebe zwischen Aeneas undder verwitweten Königin Dido. Dem Helden ist aufgetragen, sofort nach Italien zu segeln und der göttlichen Bestimmung zu folgen. Im Selbstzweifel zwischen göttlichem Auftrag und irdischer Liebe gefangen, wird er durch den als Hexe verkleideten Merkur an seine Mission unmissverständlich erinnert.

Aeneas segelt zur Erfüllung des Gründungsmythos nach Rom – und opfert dafür die Liebe zu einer Frau. Sein halbherziges Angebot, trotzdem in Karthago zu bleiben, lehnt Dido mit dem Verweis auf Treulosigkeit als Strafe des Himmels ab. Sie stirbt. Ob an gebrochenem Herzen oder durch Selbstmord wird in der Mythologie unterschiedlich erzählt.

Diese romantisch schillernde, tragisch bewegende Geschichte verschattet sich in Essen in farb- und kraftlose Schwärze. Keine lebenssprühenden Funken, so sehr auch Andrea Sanguineti mit einem Kammerensemble der Essener Philharmoniker bemüht ist, eben diesen Funken auf die Bühne überspringen zu lassen. Teilweise liegt eine bleierne Müdigkeit über der wenig inspirierten Inszenierung von Ben Baur. Dass eine der Musikerinnen in den langen Pausen zwischen ihren Einsätzen  immer wieder in ein Nickerchen versinkt, sich kaum gegen die Schläfrigkeit wehrt, macht keinen guten Eindruck gegenüber dem Publikum, das auf Augenhöhe dem Ensemble unmittelbar gegenüber sitzt. Auf Dauer, unterschwellig gefühlt, ein Aufmerksamkeit ausbremsender Eyecatcher, der von der Musik und dem Bühnengeschehen ablenkt.

Stellt man in Rechnung, dass Dido and Aeneas eine Semi-Oper im Kontext des höfischen Singspiels des 17.Jahrhunderts ist, die nach dem Hauptprogramm von Theater und Tanz ihren (nachrangigen) Platz hat, ergeben sich konsequenterweise Fragen: Kann eine solche Semi-Oper als Oper allein ohne die Vorspiele funktionieren? Muss deshalb der Versuch von Baur in Essen das Ziel zwangsläufig verfehlen? Sich Purcells Semi-Oper in einer Perspektive von kulturell historischer Komplexität oder ihr reflexiv mit einer Inszenierung anzunähern, punkten Inszenierungen, wie etwa die von Sasha Waltz an der Staatsoper Berlin (Starke Frauen allein gelassen, vom 06.11.2019) oder die von David Marton im Rahmen der Ruhrtriennale (Martons Purcell-Kraftzentrale, vom 31.08.2019, beide hier veröffentlicht) mit überzeugenderer Dramaturgie (Christian Schreiber) und Inszenierungsstringenz.

Die Essener Bühne dominiert ein schwarzgewandter, häufig mit Kapuzen verhängter Opernchor des Aalto-Theaters. Ihrem harmonisch gewebten, atmosphärisch dichten Klangteppich (einstudiert von Patrick Jaskolka) gelingt es allerdings nicht, über das Düsterdumpfe hinaus lichte Momente und Möglichkeiten zu antizipieren. Auf das Publikum, in Social Distancing eingeübt und als maskierte Pandemie-Leidgenossen seit zwei Jahren miteinander verbunden, wirkt das negative Inszenierungs- und Ausstattungsdunkel  sehr wenig überzeugend.

Betrachtet man die solistischen Gesangsanteile, so fällt auf, dass Männer eher unauffälligere Rollen spielen. Es dominieren starke Frauen, von Männern allein gelassen. Tobias Greenhalgh als Aeneas ist außer der musikalisch undankbaren Randfigur des 1.Matrosen (Ian Spinetti) der einzige Mann auf der Bühne. Purcells Komposition gibt Greenhalgh nur wenige Gelegenheiten, die farbig satte Mitte seines Baritons strahlen zu lassen.

Selbst Jessica Muirhead in der Rolle der Dido, quer zur suggerierten, titelgebenden Erwartung, hat relativ eingeschränkte Partieanteile. Muirhead arrondiert mit ihrem Ah! Belinda I am prest nach der Ouvertüre zu Beginn des ersten Aktes das Aktionsfeld. Ihr Schattenbild, auf den kahlen Bühnenhintergrund gespiegelt, assoziiert ein Kreuzbild. Das Schicksal nimmt seinen götterbestimmten Lauf. Das Lamento der Dido – When I am laid in earth -, eine der berühmtesten Barock-Sopran-Arien, gestaltet sie mit unter die Haut gehender Expressivität. Ihr seidig schimmernder Sopran beweist die emotionale Macht der Musik.

Komponist Purcell und Librettist Tate messen den Spiel- und Gesangsanteilen nach Belinda (Giulia Montanari), Didos Vertrauter (auch 1.Hexe und Geist) und der 2. Frau und 2.Hexe (Christina Clark) insgesamt eine größere Handlungspräsenz zu. Ihre Soprane strahlen mit melancholischem als auch kraftvollem Timbre.

Der Applaus zu dieser Premiere fällt eher vornehm zurückhaltend als begeistert überschäumend aus.

03.01.2022

Über Peter E. Rytz Review

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