Wohin mit unseren Träumen?

Starker Auftakt in der Kraftzentrale, Landschaftspark, Duisburg-Nord zu Beginn der Ruhrtriennale 2023, Festival der Künste mit Ein Sommernachtstraum von William Shakespeare. Barbara Frey setzt im dritten und letzten Jahr ihrer Intendanz da fort, wo sie 2021 mit Haus Usher nach Edgar Allan Poe in der Maschinenhalle Zweckel, Gladbeck (Untergang, Abschied, Aufbruch vom 25.08.2021) und Die Toten nach James Joyce (Von Toten, die nicht tot sind vom 04.09.2021) begonnen hat. Expeditionen in die Abgründe und Tiefen der menschlichen Seele, die Spiel und Narration  zu Wahrnehmungssphären erweitern, die dem Unbewussten, dem Traumartigen, dem Unsagbaren Ausdruck geben.

Ihre Sommernachtsinszenierung folgt der klassischen, sogenannten Schlegel-Tieck-Übersetzung des 19.Jahrhunderts. Kein Stäubchen romantischer Verklärung kräuselt sich auf. Handfeste Wirklichkeit mit ihren Sowohl-als-auch an eine zauberhafte Feenwelt angeschlossen, entrollt sich auf der Drehbühne (Martin Zehetgruber) ein bunter Kosmos von Leidenschaft und Liebe, von Eifersucht und Hass. Ein Bilderbogen von despotischem Machtanspruch der Athener Oberschicht sowie von Liebesschwüren, die sich mit Pucks Zauberkraut Vielliebchen umgehend in ihr Gegenteil verkehren. Ein Jagen und Haschen nach der wahren Liebe – oder doch nur nach der Ware Liebe? 

Freys souveräner, von Respekt gegenüber dem Shakespeare-Original getragener Umgang mit dem Text verleiht ihm zudem mit der Streichung des Philostrat und der Integration der Figur des  Droll in den Puck eine Fokussierung auf das genial Abgründige des Stücks. Ihre Selbstvorlage, der Sommernachtstraum sei das Stück der Stunde unterstreicht sie mit dieser lyrisch inspirierten Inszenierung. Ihr gelingt, dass das Komödiantische nie zum Selbstzweck wird. Ernst als Einübung in eine sehr lebensnahe, subjektive Ernsthaftigkeit angesichts aller (Welt)Probleme, sich zwischen Wachen und Träumen einzuüben, wird bildreich assoziiert (Fotoimpressionen/Fotoprobe vom 09.08.2023).

Mit dem Austausch bildmächtiger Schlegel-Tieck-Worte webt Frey spielerisch amüsante Arabesken. Du bunte Bohnenstange übersetzt sie in Du, angemalter Maibaum. So Hermia im Liebhaberstreit mit Helena, die sie ihrerseits reizt: Du Liebesdiebin…. Du Marionette, pfui! du Puppe, übersetzt in Püppchen, Du.

Meike Droste (Hermia), rollengerecht mit aufgepolstertem Gesäß und Brustkorb kostümiert (Kostüme: Esther Geremus) – Schon wieder klein, und anders nicht wie klein? .. Nicht gar so klein, dass nicht Dir meine Nägel an die Augen reichten – als Projektionsfläche Schönheit heischender Selbstinszenierung trippelt und stolpert sie durch die Szenen. Lili Widerlichs Figur der Helena, die sich selbst als nicht schön empfindet, widerstreitet mit ihrer durchaus erotisierenden Erscheinung.

Vier blattgrün leuchtende Bäume (Licht Design: Rainer Küng) dominieren über vier Autowracks, die zur Hälfte schon im Sand versunken sind. Das Auto, nur noch eine schattenhafte Erinnerung einer sich selbst strangulierenden Wohlstandsgefühligkeit, die sich in Zeiten des Klimawandels selbst in Frage zu stellen vermag? Der Traum vom richtigen Leben, dem alle menschlichen Laster und Verneinungen fremd sind, allein im Feenreich der Träume?

Shakespeares Versuchs- und Spielanordnung des Sommernachtstraums setzt für einmal die Grenze von Wirklichkeit und Traum außer Kraft. Eine alltägliche Erfahrung: Der Moment, wo ich jeden Abend einschlafe, entzieht sich meiner Bestimmung. Der Traum schwebt gleichsam in einer unbewussten Wirklichkeit ein.

Dieses Schwebende, das das Sommernachtstraum-Personal vom Burgtheater Wien immer wieder schlafend niedersinken lässt, umflort das Zauberkraut von Puck (Dorothee Hartinger mit servil hintergründiger Dienstbarkeit als kommod verkleideter Spiritus Rector im Feenreich) im Auftrag des Elfenkönigs Oberon (Sylvie Rohrers Textverständlichkeit streitet offenbar mit der Head-Set-Technik; aber nicht allein. In der Rolle der Hippolyta ist sie allerdings sprechdeutlicher präsent).

Im Unterschied zu ihr (auch bei Langston Uibel, insbesondere als Demetrius ist der Text nur phasenweise voll verständig) überzeugt Oliver Nägele als Zettel mit einer charaktervoll zeichnender Sprechkultur, die wahrscheinlich auch ohne Head-Set so funktionieren würde. Freys Rollen-Mehrfachbesetzung mit einer Person bringt in der Mehrzahl die schauspielerischen Qualitäten von Darstellung und Sprache vielfarbig zum Glänzen. Gunther Eckes sogar dreifaches Wechselspiel (Egeus, Elfe, Sqenz), wie Sabine Haupt als Flaut und Elfe geben dem Zuschauer bei den ersten Wechseln eine Rätselaufgabe, sich in der Vielfalt der Gestalten zu orientieren und sie den jeweiligen Schauspielern zuzuordnen.

Wohin mit unseren Träumen, wenn die Welt so ist, wie sie ist? Titania balanciert mit turmhohem Dutt, schlängelt sich mit einem bis zu den Knöcheln reichenden Kleid geziert tänzerisch durch ihren liebestollen Feen-Wald. Selbst den Esel im Menschen (des Zettel) sieht als aller-liebenswertes Geschöpf an. Markus Scheumann findet sichtlich Spaß an seiner Titania und ihrer Selbst-Spiegelfechterei: Ich bin ein Geist von nicht gemeinem Stande; ein ewger Sommer zieret meine Lande; und sieh, ich liebe dich! drum folge mir. In der Rolle des Theseus zeigt Scheumann als Artist schauspielerischer Verwandlungskunst mit athenisch männlicher Überzeugungskraft.

Josh Snessbys Ein-Mann-Kammermusik verzaubert mit Klangschalen-Melancholie. Am Ende des vierten Aktes, in gleichsam retardierender Resonanz dreht sich die Bühne, mit esoterisch somnambulem Klangschweben. Nun gute Nacht! Das Spiel zu enden, begrüßt uns mit gewognen Händen!

Das Premierenpublikum folgt dem umstandslos.

photo-streaming Ein Sommernachtstraum
11.08.2023

Über Peter E. Rytz Review

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