Irrungen und Wirrungen im Klang-Objekt-Kosmos von Alexander Calder – Avantgarde in Bewegung in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen

Alexander Calder,   Avantgarde in Bewegung,   Düsseldorf 2013 © Peter E. Rytz  2013

Alexander Calder, Avantgarde in Bewegung, Düsseldorf 2013
© Peter E. Rytz 2013

Es mag Besucher in der jetzt eröffneten Ausstellung Alexander Calder – Avantgarde in Bewegung (07.09.2013 – 12.01.2014) im K20 Grabbeplatz, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf geben, die über ein irritierendes  Deja-vù ins Stolpern geraten. Waren diese leicht beweglichen Objekte nicht als Accessoires einer Kinderzimmereinrichtung in einem entsprechenden Katalog angeboten worden?

Alexander Calder, der mit den verspielten Mobiles. Ein Jedermann-Künstler, der verstanden hat, einen Ausstattungsmarkt zu bedienen?  Auch viele von denen, die sich zugutehalten (zu Recht oder Unrecht), ein ausgewogenes, durch viele Museumbesuche gesättigtes Kunstverständnis zu besitzen, sind möglicherweise überrascht, Alexander Calder als Teil der künstlerischen Avantgarde des 20.Jarhundert zu erfahren.

Die Kuratorin Susanne Meyer-Büser hat sich nichts weniger vorgenommen, als bisherige manifeste Perspektiven von Calders Kunst zu durchkreuzen. Im Grunde ist es physikalisch trivial. Bewegtes ist ohne einen Anstoß (aus der stabilen Lage) nicht möglich. Deshalb überrascht es erst einmal nicht, dass er vor den Mobiles (Marcel Duchamp hat 1931 diesen Begriff mit Blick auf Calders Frühwerke als akzeptierten Kunstgattungsbegriff geprägt; schon 1913 hatte er Teile seiner Ready-mades mit Mobile bezeichnet!) auch Stabiles geschaffen hat.

In der Ausstellung sind frühe Messingdraht-Arbeiten von 1928 (Marion Greenwood; Portrait of a Man) zu sehen. Ins öffentliche Bewusstsein ist er aber vor allem mit seinen mobilen Arbeiten getreten – und war damit einer der wenigen Künstler der Moderne, die ihre Arbeiten gleichzeitig  auch gut verkaufen konnten. Von daher erklärt sich vielleicht auch das vermutete falsche, zumindest vereinfachte Deja-vù angesichts der avantgardistischen Perspektive. Man muss allerdings auch zugeben, dass die kunsthistorische Rezeption von Calders Werk und die Ausstellungspraxis nicht wenig zu dieser einseitig verengten Wahrnehmung beigetragen haben.

Anekdotenhafte Versatzstücke, wie die, dass Calder 1930 bei einem Besuch in Piet Mondrains Atelier in Paris ein Erweckungserlebnis gehabt habe, überdecken mit ihrem mythischen Gestus häufig den eigentlichen Grund, den Impuls, der, wie sich später herausstellen sollte, die Avantgarde im wahrste Sinne bewegte. Paris in den 20ger und 30ger Jahren des letzten Jahrhunderts war ein kitchen melting pot, wo es in jeder Küche, respektive Atelier anders roch, die Künstler ihre Nasen in die verschiedenen Töpfe steckten, ab und zu gemeinsam den Kochlöffel schwangen – und zurück in der eigenen Atelier-Küche, noch die verschiedenen Ingredienzien in der Nase, eine eigene Rezeptur versuchten.

Calder beeindruckten nicht nur Mondrians Farbfeld-Abstraktionen, sondern lernte ebenso die surrealistische Weltwahrnehmung in den Arbeiten von Fernand Léger und Man Ray sowie in den Kompositionen von John Cage und Edgar Varése in ihrem surrealistischen Wert kennen. In dem Moment wo Alltagsgeräusche neben klassisch harmonischen Klänge ihr Gleichgewicht beanspruchten, war es für Calder scheinbar nur noch ein kleiner Schritt –  aber gleichzeitig eine große Zäsur in der Moderne – zu seinen noise mobiles, die die Düsseldorfer Ausstellung Avantgarde in Bewegung nobilitiert.

Es mag eine günstige Fügung gewesen sein, dass von den kuratorisch bisher eher stiefmütterlich behandelten noise mobiles und von den wenigen in öffentlichen Sammlungen zugänglichen Objekten die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen seit 2008 selbst mit noise skulpture von 1937 ein seltenes Exemplar besitzt, dass jetzt Calders Arbeiten als einen wichtigen Impulsgeber für die Avantgarde präsentiert und kunsthistorisch einordnet. Susanne Meyer-Büser hat für die Wahrnehmung der mobilen Aspekte von Calders Mobiles eine Ausstellungsarchitektur konzipiert, die es erlaubt, sie aus von unterschiedlichen Ebenen zu betrachten (einen Laufsteg, wie man ihn aus erlebnispädagogischen Baumwegen kennt).

Dass Calder über seine gesamte Schaffensperiode seit 1930 bis zu seinem Tod 1976 noise mobiles gestaltet hat, wird mit der Ausstellung in dieser Form erstmals umfassend gewürdigt. Von daher verwundert es nicht, dass  die Direktorin der Sammlung Marion Ackermann mit ihrem Ausstellungskonzept bei der Calder Fondation, New York offene Türen fand. Ihr Präsident S.C. Rower (ein Enkel von Alexander Calder) betonte bei der Ausstellungseröffnung, dass es ein Glücksfall sei, seinen Großvater als Vater der Avantgarde in Bewegung zu würdigen.

Die Ausstellung eröffnet die großartige Chance, Calders noise mobiles wie in einem Brennglas zu entdecken, wo Malerei, Skulptur und Musik, auf einen Punkt konzentriert, ein Feuer entfachen. Ein Feuer sinnlicher Wahrnehmung, das nicht eines intellektuell angestrengten Unterbaus bedarf. Aber gleichzeitig festgefügte Wahrheiten in irritierend unkontrollierte, unvorhergesehene Bewegungen versetzt. Schon vor der frühen Arbeit Small Sphere and Heavy Sphere (1932/33) erweist sich die Leichtigkeit der Bewegung gleichzeitig als schwer nachzuvollziehen. Man ist gewillt, den weiteren Verlauf der angestoßenen Holzkugel zu adaptieren, aber der Alltag in Form von Flaschen und hölzernen Hindernissen stellt sich dem in den Weg. Bewegungskraft und Klang gehen ihre eigenen Wege. Sie erzählen etwas, von dem Verborgenen, Nicht-Berechenbaren in der uns verlässlich erscheinenden Welt, damals wie heute.

Ach, wen vermögen wir denn zu brauchen? Engel nicht, Menschen nicht, und die findigen Tiere merken es schon,  daß wir nicht sehr verläßlich zu Haus sind  in der gedeuteten Welt, formulierte Rainer Maria Rilke schon in den Duiniser Elegien in den 1920ger Jahren. Und wenn man Quatre systémes rouges (mobile) von 1960 sich langsam bewegen sieht, allein abhängig von den Strömungsverhältnissen in der Halle, die letztlich von den Besuchern ausgelöst werden, wird klar, dass Calders Mobile und wir den gleichen Kosmos – und sein Geheimnis teilen. Die Ausstellung ist eine Einladung,  in diesen spielerisch leichten und immer wieder verblüffenden Kosmos von Bewegung und Klang einzutauchen, der man sich kaum entziehen kann.

11.09.13

Über Peter E. Rytz Review

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