Jazzfest Berlin 2015 – Richard Williams baut Brücken

Charles Lloyd Wild Man Dance Project @ Peter E. Rytz 2015

Charles Lloyd Wild Man Dance Project @ Peter E. Rytz 2015

Jazzfestivals funktionieren wie Resonanzböden. Ihre Vibrationen mischen Bekanntes mit Neuem. Bestandsaufnahme und Hören nach vorn zugleich. Jazzfestivals sind vor allem musikalische Brücken zu anderen Jazz-Performances-Orten. Fokussiert an einem Ort für wenige Tage, bieten sie die einzigartige Möglichkeit, Trends und Entwicklungen der aktuellen, internationalen Jazzszene vergleichend zu erleben.

JazzFest Berlin 2015 setzte im ersten Jahr nach der 50.Ausgabe im letzten Jahr unter der neuen künstlerischen Leitung von Richard Williams auf qualitative Kontinuität und gleichzeitig auf die kreative, inspirierende Kraft neuer Klangerkundungen.

Die Konzerte von Charles Lloyd mit seinem Wild Man Dance Project, von Keith Tippett mit seiner Suite The Nine Dances Of Patrick O‘Gonogon oder von Tigran Hamasyan mit seinem neuen Trio haben mit der ihnen eigenen altersweisen oder jungendlich pulsierenden Energien groovende Soundlinien über die Jazz-Brücke gezogen. Von unterschiedlichen Ufern kommend, versetzten sie die normalerweise müde dahin dümpelnde Spree in heftige Wellenbewegungen. Im Wechsel mit abflauenden Winden imaginiert die Musik Schattentänzer auf dem Wasser.

Tanz ist eine der ursprünglichsten und ältesten Ausdrucksformen von Gefühlen und Stimmungen. Mit ihm lässt sich Kultur und Sozialisation auf eine subtile Weise buchstabieren. Möglich, dass es, um diese Perspektive zu erkennen, sie von verschiedenen Seiten zu betrachten und zu reflektieren, Jahre braucht, um das darin liegende kreative Potential zu entdecken. Jedenfalls war beim Blick in das Programmheft auffällig, dass die Jazz-Heroen Charles Lloyd und Keith Tippett mit Dance-Projects auftraten.

Hatte sich Charles Lloyd beim JazzFest Berlin 2011 zusammen mit Maria Farantouri mit dem Amarando-Project auf eine greek roots expedition begeben, kommentiert er mit Wild Man Dance seine mehr als einem halben Jahrhundert währende musikalische Zeitreise. Mit 77 Jahren immer noch auf der Suche dem Klang, der alles das ausdrückt, was sich nicht mit Worten beschreiben lässt.

Eric Harland ist ihm seit Jahren am Schlagzeug ein kongenialer Partner. Sein Spiel ist feinnervig im Dialog und kraftvoll zugleich. Gerald Clayton hat Lloyds langjährigen Partner am Klavier, Jason Moran abgelöst. Er ist kein Ersatz, sondern Sensor und Verstärker des Lloyd-Sounds. Die klassische Quartett-Besetzung ist mit dem schon seit Amarando-Tagen integrierten Sokratis Sinopoulos an der griechischen Lyra sowie mit dem virtuosen ungarischen Cimbalon-Spieler Miklós Lukács nicht nur zahlenmäßig erweitert. Die mit ihnen verbundene Klangfarbigkeit öffnet einen weiteren Lloyd-Kosmos: Wild Man Dance.

Im Kontrast zu seinem elegisch grundiertem Solo-Konzert beim 25.Internationalen Jazzfestival Münster im Januar dieses Jahres tanzt Keith Tippett mit seinem Octet Nine Dances Of Patrick O’Gonogon auch musikalisch schwergewichtiger. Sein Dance-Project hat in Berlin eine begeistert bejubelte europäische Premiere. Tippett hat eine musikalische Ballade aus neun Tänzen und einer Coda komponiert. Mit ihnen greift er Themen des irischen Folk auf, betrachtet sie aus unterschiedlichen instrumentalen Ebenen und lässt sie, nachdem er sie in den Tippett’schen Improvisationsgarten eingemeindet hat, neu erklingen.

Dass Peter Fairclough (per, dr) und Fulvia Sigurta (tp, flgh) langjährige, gestandene Sidemen sind, ist zu spüren und zu hören. Sie  balancieren den Sound aus und dynamisieren ihn pulsierend. Julie Tippetts Gesang in der Coda  mit The Dance of Her Returning gibt der Musik eine gefühlvollen lyrisch balladesken Ton.

Mit Tigran Hamasyans Konzert bietet es sich an, noch einmal nach Münster zu schauen. Beim Jazzfestival 2009 war er noch so etwas wie der rising star. Von vielen mit staunender Begeisterung wahrgenommen, zeigt er sich jetzt, sechs Jahre später gereift, aber auch irgendwie karrierebewusster. Sein Spiel umgibt eine kühl kalkuliert ätherische Aura. Weiterhin temperamentvoll in den Dialogen mit Sam Minaie am Bass, der schon 2009 dabei war, und einem eher defensiv spielenden Arthur Hnatek (dr), vermisst man doch die Irritation genialer Momente.

Louis Moholo, der nach seiner Rückkehr aus der Emigration seit einigen Jahren  wieder in Südafrika lebt und sich mit stammeskulturellem Bewusstsein Louis Moholo-Moholo nennt, zeigt als ein weiterer Grande des Jazz, wo die Schlagstöcke hängen. Mit ungebrochenen Energieschüben treibt er vom Schlagzeug aus sein Quartett vorwärts. Allen voran das Kraftpaket an den Saxophonen Jason Yarde. Er bläst so ungestüm kraftvoll sein Horn, als ob er zusammen mit Moholo-Moholo Zeit und Raum zusammenfalten wolle. In solchen Momenten versagen Kategorien wie Jugend und Alter, wenn nach dem Geheimnis des Jazz gefragt wird.

Quartette, wie das von Miguel Zenón oder des jungen Trompeters Ambrose Akinmusire spielen mit jugendlicher Vitalität straight ahead, ohne allerdings einen nachhaltigen Eindruck zu hinterlassen. Selbst Akinmusires Quartett-Erweiterung, featuring Theo Bleckmann bleibt in wenig überzeugenden Versuchen stecken, vokal klangfarbig zu nuancieren. Mehr technizistisch angestrengt, als musikalisch ausdrucksvoll.

Wie für Festivals mit einem ambitionierten  Überblicksanspruch typisch aber damit fast unvermeidlich, gibt es auch Konzerte, die das Genre Jazz eher umrahmen als es mit neuen Aspekten bereichern.

Die persische Sängerin Cymin Samawatie komponiert und arrangiert Musik, die kammermusikalisch Elemente aus der Lyrik von Hafis mit impressionistisch minimalistischen Klängen verbindet. Mit Diwan der Kontinente hat sie Musikerinnen und Musiker eingeladen, über religiöse und kulturelle Grenzen hinweg miteinander zu musizieren.

Der Name ist programmatischer Anspruch: Postmigrantische Kultur poetisch in Musik lebendig werden zu lassen. Exotische Instrumente wie die von Naoko Kikuchi gespielte japanische Koto oder die chinesische Windorgel Hulusi sowie arabische Flöten Ney und Duduk, geblasen von Vladiswar Nadishana, ebenso der europäisch fremd anmutende Klang der traditionellen chinesischen Mundorgel Sheng, den Wu Wei formte, tragen mit den Sängerinnen Sveta Kundish und Defne Şahin dazu bei, das Haus der Berliner Festspiele wie eine meditative Insel auf der Spree behutsam segeln zu lassen.

03.12.2015

Über Peter E. Rytz Review

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