JOE zwischen American Songbook und improvisierten Dialogen

Louis Sclavis (b-cl), Vincent Coutois (cello), 2016 @ Peter E. Rytz

Louis Sclavis (b-cl), Vincent Coutois (cello), 2016 @ Peter E. Rytz

Das JOE Festival der Jazz Offensive Essen wettstreitet in jedem Januar aufs Neue mit dem Jazz Festival Münster (im Wechsel mit InBetween; vgl. Inbetween Münster 2016 – mehr als nur ein Zwischenspiel, vom 09.01.2016) und dem WDR Jazzfest auf Augenhöhe. In diesem Jahr schon zum 20. Mal hat es sich inzwischen zu einem veritablen Konzertereignis entwickelt. Der intime Charakter des Katakomben-Theaters in Essen vereint Musiker und Jazz-Fans zu einer 3-tägigen Hör-Gemeinschaft.

Das JOE ist von den Musikern John-Dennis Renken und Patrick Hengst sowohl musikalisch, organisatorisch als auch von einer inzwischen schon zum Kult gewordenen Moderation geprägt. Wo gibt es das schon, dass Musiker ihr eigenes Festival machen? Selbstironisch präsentieren sie Künstler, mit denen sie selbst musizieren oder schon selbst musiziert haben oder weil sie deren Musik einfach gut finden.

In diesem Jahr gab es erfrischende Kontraste zwischen Quartetten, die mit ihren Sängerinnen das American Songbook studiert und mit eigenen Kompositionen gewissermaßen ergänzt haben, und improvisierter Musik im Dialog.

Den Auftakt bestritt die Österreicherin mit Wohnsitz in Köln Filippa Gojo mit ihrem bestens aufgelegten Quartett. Gojos Gesang lotet die Song-Lyrismen aus und gibt ihnen eine eigene Klangfärbung. Sie mischt bekannte Songs wie Joni Mitchells Woodstock kühn mit Volksliedern ihrer voralpenländischen Heimat. Unterstützt von minimalistischen, gleichwohl rhythmisch synkopierten Percussions von Lukas Meile, von grundsoliden Basslinien David Andres‘ sowie von Sebastian Scobels kultiviertem Klavier-Drive, singt Gojo in freischwebender, ausbalancierter Anmutung.

Ähnlich, aber in der Intonation anders, vor allem  komplexer, trägt Lea W. Freys Stimme einen Sound ins Katakomben-Theater, der passagenweise meditative Charakterzüge hat. Die Gebrüder Meyer – Peter (git), Bernhard (b) – betten Freys Sound zusammen mit dem agilen Drummer Andi Haberl in harmonischen Flächen klangschön ein. Ihre CD How soon is now später im Auto ist ein authentisches, beglückendes Konzert-Nachhören. Bemerkenswert, weil zwischen Life-Konzert und CD-Wiedergabe oft genug eine Differenz zuungunsten der CD zu hören ist.

Mit SuperimposeMatthias Müller (tb) und Christian Marien (dr) – , in der Konzertfolge nach Filippa Gojo Quartett,  vollzog sich ein Bruch in der harmonisch gestimmten Dramaturgie des 20. JOE. Kraftvoll bis brachial animieren sich Müller und Marien gegenseitig zu einem Duell. Fortissimo-Kaskaden, als würde sie einen Fehdehandschuh in den Ring werfen, ergießen sich in den Raum. Kein Halten, nirgends. Dann aber doch differenziertere Klang-Collagen, die den Ton in einen harmonikalen Hör-Raum zurückführen. Um anschließend als musikalische Berserker miteinander zu triumphieren.

Spektakulärer, aber insbesondere prominenter Festival-Abschluss mit dem charismatischen Louis Sclavis und dem Cellisten Vincent Courtois. Sclavis‘ Bass-Clarinette hat vor mehr als 15 Jahren dem Jazz eine eigenständige Klangfarbe gegeben. Obwohl sie auch früher schon zum instrumentalen Inventar der Jazzmusik gehörte, hat Sclavis sie neu gestimmt. Mit dem ebenso nicht zur Grundausstattung von Jazz-Musikern gehörenden Cello  hat Sclavis mit Courtois einen kongenialen Partner gefunden. Feinsinnige Motive, wechselweise von der Bass-Clarinette und dem Cello entwickelt, inspirieren den anderen zu Improvisationen, die Brücken bauen. Schlussendlich gehen Sclavis und Courtois über diese mit einer mehrdimensional deutbaren Klangfülle. Gemeinsam erreichen sie ein anmutiges Ufer und arrondieren es filigran mit ihrer musikalischen Vermessung.

JOE, das zwanzigste, setzte eindrucksvolle Maßstäbe, an denen es sich nächstes Jahr wird messen lassen müssen. Darum, dass das gelingt, sollte man sich nicht ernsthaft Sorgen machen.

24.01.2016
photo streaming
Filippa Gojo Quartett
Superimpose
Lea W. Frey Band
Louis Sclavis/Vincent Courtois

Über Peter E. Rytz Review

www.rytz.de
Dieser Beitrag wurde unter Jazz veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.