Sibelius‘ Stormen – kein Shakespearescher Sturm in der Tonhalle

@ Erik Berg

@ Erik Berg

Das Konzertjahr 2015 stand ganz im Zeichen von Jean Sibelius‘ 150. Geburtstag. Dieser markiert zwar mit dem 8. Dezember das kalendarische Ende des Gedenkjahres, ist aber auch noch im Januar 2016 sehr gut dafür geeignet, sich dieses prägenden Komponisten beim Übergang vom 19. in das 20. Jahrhundert zu erinnern.

Die Tonhalle Düsseldorf eröffnet das Konzertjahr der Sternzeichenkonzerte 2016 mit Sibelius‘ Bühnenmusik Stormen zum gleichnamigen Schauspiel The Tempest von William Shakespeare. Mit John Fiore, dem ehemaligen Generalmusikdirektor der Düsseldorfer Symphoniker steht ein Dirigent am Pult, den das Konzertpublikum herzlich mit lautem Applaus begrüßt. Ihm gehört immer noch die Sympathie der Düsseldorfer.

Einige Konzertbesucher, die sich seit Jahrzehnten mit ihrer Tonhalle verbunden fühlen, scheinen irritiert bis enttäuscht, dass entgegen der Programmankündigung beim Star-Talk vor dem Freitagskonzert nicht Fiore, sondern der Schauspieler Johann von Bülow Gesprächspartner von Udo Flaskamp, dem Abteilungsleiter Marketing und Kommunikation ist. Die kurzfristig vorgenommene Änderung via Internet ist offensichtlich nicht bei allen Konzertbesuchern angekommen.

Das ist insofern schade, als man gern gehört hätte, welchen Ansatz als Dirigent Fiore zu opus 109, Stormen von Sibelius wählte. Es ist schließlich nicht nur eine selten aufgeführte Komposition. Sie wird auch in manchen Sibelius-Werkverzeichnissen nicht aufgeführt, gleichsam unter den Tisch fallen gelassen. Eine erste CD-Aufnahme hat das Lathi Symphony Orchestra erst 1992 realisiert.

Nach Fiores skandinavisch affinen Interpretation der Schauspielmusik Peer Gynt nach Henrik Ibsen von Edward Grieg 2012 in der Tonhalle (vgl. Mensch sei Du selbst! – Peer Gynt in Düsseldorf vom 16.10.2012) ist es mit Stormen eine vergleichbare Wiederbegegnung auf ähnlichem Terrain.

Stormen wird von so manchem, wie auch im Programm zu lesen, einerseits ein erstaunlicher Reichtum von Phantasie und von Imagination attestiert. Harfe und Schlagzeug gibt Sibelius beispielsweise reichlich Gelegenheit, klangfarblich zu glänzen. Andererseits vermisst man im Freitagskonzert eine interaktive Schlüssigkeit von Sprache, Musik und Gesang.

Ist die Ouvertüre noch in ihrer sturmdurchwehten Klangfülle ein verheißungsvolles Versprechen synästhetischer Ambitionen, so überzeugt Stormen im weiteren Verlauf musikalisch weniger. In einzelne Passagen, wie in den Portraits von Porspero, von Caliban und von Miranda sowie im Flötenspiel Der Eichenbaum wird etwas von Sibelius‘ impressionistischen, lautmalerisch geprägten bis atonalen Klangstrukturen hörbar. Insgesamt bleibt es bei Andeutungen, die sich nicht wirklich erfüllen.

Dass Stormen auch Sibelius selbst in Gänze nicht überzeugte und er gewissermaßen infolge dessen separat Suiten veröffentlicht hat, die in dieser Form häufiger Eingang in Konzertprogramme finden, mag für sich sprechen. Wie auch der zwischen einer ersten Ideenskizze 1901 und ihrer Uraufführung 1926 liegende Zeitraum eines Vierteljahrhunderts viel dafür spricht. Dies kann man als einen letzten kompositorischen Kraftakt verstehen. Stormen ist mehr oder weniger ein kreativer Schlussakkord , obwohl Sibelius erst Jahrzehnte danach 1957,  92jährig gestorben ist.

Sibelius synästhetische Assoziationskraft, die Tondichtungen wie die Kalevala-Suite und Finnlandia schufen, in denen er Malerei, Plastik und Musik in einem  multimedialen Gesamtkunstwerk zu verbinden suchte, verblasste danach. Die von ihm überlieferte  Überzeugung, dass er eigentlich ein Musikmaler und Dichter sei, liest sich von daher eher selbstgefällig als selbstkritisch bescheiden.

Das ist in diesem Konzert auch zu spüren. Durchgängig stellt sich keine Strahlkraft ein. Auf Dauer ermüdend und unübersichtlich trotz der Courage von John Fiore am Pult der Düsseldorfer Symphonikern. Der Mezzosopranistin Tuija Knihtilä, die in Ariels Lieder vom Komponisten wiederholt die Chance erhält, situativ zu gestalten, gelingt es insbesondere in den ersten zwei Liedern nicht, sich im Orchesterklang zu behaupten. Demgegenüber haben die anderen Solisten wie auch der Chor des Städtischen Musikvereins zu Düsseldorf in ihren Kurzeinsätzen kaum die Möglichkeit zu gestalten. Für die letzten beiden Akten hat Sibelius deren Stimmen offenbar nicht mehr benötigt. Sie bleiben stimmlose Zuhörer.

Letztlich kann auch die schauspielerisch überzeugende Präsenz von Johann von Bülows komädiantischem Spielwitz, von Stefan Wilkenings pausenbetonter Sprechvariabilität sowie von Laura Maires souveräner Gestaltung (insgesamt bis zu sechs Rollen) – schon bei Peer Gynt wie auch bei Manfred von Robert Schumann 2010  ein wunderbar aufeinander hörendes und spielendes Ensemble – mit Stormen keinen Shakespeare’schen Sturm in der Tonhalle entfachen.

Auch wenn es am Ende lauten Beifall und vereinzelte Bravi gab, sah man auch manche kopfschüttelnde Ratlosigkeit in den Gesichtern. Wir haben das erste Mal in 40 Jahren nach einem Konzert nicht geklascht, rechtfertigte sich auf dem Weg zur U-Bahn ein älteres Ehepaar in deutlicher Weise.

17.01.2016

Über Peter E. Rytz Review

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