Britain Pop: This is tomorrow, this was tomorrow

@ Peter E. Rytz 2016

@ Peter E. Rytz 2016

Wer ein Kunstmuseum betritt, ist zu allererst ein Sehender. Gemälde, Zeichnungen, Fotografien oder Videos und Filme sowie Skulpturen und Installationen sind dominant. Wer die  Ausstellung This was tomorrow Pop Art in Great Britain 1947 – 1968 im Kunstmuseum Wolfsburg betritt, dessen Aufmerksamkeit verschiebt sich schon nach kurzer Zeit mehr und mehr vom Sehen zum Hören.

Der Ausstellungsrundgang über zwei Etagen startet mit der Reminiszenz an den Beginn von Britain Pop Art mit der Ausstellung This tomorrow, 1956 in London. Vorbei an den stilbildenden Bunk-Collagen von Eduardo Paolozzi, beeindruckt von Nigel Hendersons fotografischen Reflexionen des Lebens in London zwischen 1949 und 1956 in Form von street photography, kommt man der Musik immer näher. Einmal noch um die Ecke und man wird von der suggestiven Atmosphäre der Sixties im rekonstruierten Fun House von Richard Hamilton gebannt. Hier wurde Kulturgeschichte geschrieben.

Aus einer Music Box tönt Carl Perkins Song Blue suede shoes von 1956: Well, it’s one for the money, two for the show, three to get ready now go cat go. But don’t you, step on my blue suede shoes…. Es ist der Sound, der die künstlerischen Auseinandersetzungen nach dem Ende des 2. Weltkrieges nicht nur in der Musik,  sondern ebenso in der bildenden Kunst als Pop charakterisiert. Es ist ein radikal ungestümes Aufbegehren gegen larmoyante Selbstzufriedenheit, wider bürgerlich konservative Lebensentwürfen, die das Alte konservieren und sich mit einem ungebrochenem Immer-so-weiter-wie-bisher allem Neuen entgegen stellen.

Aber mit dem Pop ist die Büchse der Pandora geöffnet, die von London aus die westliche Bürgergesellschaft beunruhigen, verunsichern und die letztlich zu sozial strukturellen Veränderungen beitragen wird. Von Raum zu Raum in der ambitionierten Wolfsburger Ausstellung This was tomorrow gehend kann man sich dem in ihr authentisch spürbaren Sog des Pops nicht entziehen. Es ist ein emotionales, für die Älteren auch sentimental und melancholisch gestimmtes Lustwandeln zwischen Musik, Fotografien, Bildern, Video-Clips und Installationen. Vergangenheit scheint in der Gegenwart auf, ohne dass sie wirklich vergangen ist.

In atmosphärisch dicht gebauten Räumen wird eine leidenschaftliche Sehnsucht nach einem anderen Leben als dem bisher scheinbar ungebrochen tradierten spürbar, so dass man irgendwann vergisst, in einer Ausstellung zu sein. Kommt im Fun House nicht nur die optische Balance ins Rutschen, sondern auch die physisch seelische Wahrnehmung, so verführen Peter Blakes Malerei und Collagen – I am always looking back…..that will best recapture the authentic feel of folk pop – im Kontext von David Hockneys provokanter Negation – I am not pop artist – mit seinen malerischen Erkundungen, die mehr ein soziologisches als ein ästhetisches Interesse zeigen, den Ausstellungsbesucher, Umwege und Sackgassen eigener Wahrnehmungsüberzeugungen zu gehen.

Man sieht in den übermalten Collagen und Fotografien von und mit Pauline Boty, wie in ihrem kurzen Leben alles das sich schon artikuliert, was Jahrzehnte später ganze Generationen geprägt hat. Es sind solche Einzelpositionen, zu denen auch die auf Linien und Punkten basierende, abstrahierende Malerei von Gerald Laing gehört, die im globalen Ausstellungsbetrieb eher selten zu sehen sind. Dass sein Siebdruck Brigitte Bardot, 1968 für das Faltblatt zur Ausstellung als auch für die Pressemappe dem Corporate Design zugrunde liegt, unterstreicht die auch kuratorisch überzeugende Konzeption von This was tomorrow nachhaltig.

Allen Jones posierende Möbel-Skulpturen Table und Chair, die bei ihrer Ausstellung 1969 in der Galerie Arthur Tooth & Sons in London provozierten, haben heute zwar einen kunsthistorisch ikonografischen Status, in Wolfsburg gemeinsam mit Refelcted Man, Öl auf Leinwand, 1963 in einem Raum aufeinander bezugnehmend ausgestellt, doch zweifellos auch noch ein Provokationspotential. Ob Jones Erklärung dazu – stated that by presenting the figures as objects that would demand an immediate non-art reflex – überzeugt, sei dahin gestellt.  Table und Chair markieren ein gängiges Pop-Element, durch Dislokation zu irritieren.

Beim abschließenden Rundgang auf der oberen Etage wird die Begegnung mit den Architektur-Modellen von Archigram, verdichtet durch Ron Herrons Instant City, Turned Suburb, 1968 neben Joe Tilsons dreidimensionalen, handgearbeiteten Objekten zur veritablen Dada-Hommage.

Eröffnet im Herbst 2016 (zu sehen noch bis 19. Februar 2017) lässt This was tomorrow nicht nur 60 Jahre Pop Revue passieren. Sie streift gleichzeitig 100 Jahre Dada. Willkommen im 21. Jahrhundert!

31.01.2017
photo streaming This was tomorrow

Über Peter E. Rytz Review

www.rytz.de
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