K, wie Kunst und Kandidat

 

Museum der bildenden Künste Leipzig @ Peter E. Rytz 2007

Im Museum der bildenden Künste in Leipzig sind noch wenige Tage zwei Ausstellungen zu sehen, die in ihren künstlerischen Positionen sowie in ihrer öffentlichen Wahrnehmung kaum gegensätzlicher sein können. In der obersten, lichten Etage Arno Rink (noch bis zum 18.11.18); unten im Tiefgeschoss Klaus Hähner-Springmühl (noch bis 10.02.2019).

Arno Rink, Protokoll einer Ministerbesprechung I – III, 1991 @ Peter E. Rytz 2018

Rink, jahrzehntelang in der damaligen DDR und gleichwohl ebenso nach dem politischen Umbruch bis zu seinem Tod 2017 als Maler und Zeichner wesentlicher Wegbereiter, der am Realismus orientierten Leipziger Schule sowie bis 2007 als Rektor, inklusive 35 Jahre als Lehrender an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig.

Klaus Hähner-Springmühl @ Peter E. Rytz 2018

Hähner-Springmühl lebt und arbeitet bis 1990 als bildender Künstler, Fotograf, Performer und Musiker als Autodidakt fernab einer größeren Öffentlichkeit im alternativen Abseits. Immer nah am existentiellen Abgrund balancierend, ist ihm die ideologisch proklamierte DDR-Scheinheiligkeit einer sogenannten Diktatur des Proletariats künstlerische Widerstands- und Reflexionsfläche zugleich. Mit der alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens durchdringenden, neuen Zeit im vereinigten Deutschland gehen ihm die bis dahin herausfordernden und animierenden Ecken und Kanten seines sozialen Umfeldes verloren. Er stirbt 2006 mit 56 Jahren letztlich an einem gebrochenen Herzen, sich einer normativen Markttauglichkeit widersetzend – und wie zuvor ins Abseits gedrängt und fast endgültig vergessen.

Dass mit Rink, wie es im Katalog heißt, dem Phänotyp der sogenannten zweiten Generation der Leipziger Schule, parallel mit Hähner-Springmühl, dem Prototyp einer Randfigur der DDR-Kunstgeschichte die Ausstellungen gewidmet sind, verdeutlicht ihre gegensätzlichen Kontexte und ermöglicht damit gleichzeitig einen differenzierten Blick ihrer künstlerischen Intentionen.

Schon Rinks Diplomarbeit Lied vom Oktober (1968) lässt sowohl eigenständige Farbkonzeptionen und akribisch strukturierte Kompositionen als auch sein politisches Statement für eine neue, von der Idee des Sozialismus geprägten Gesellschaft erkennen. Parallel entdeckt man in seinen Selbstportraits, Portraits und mit Figuren der griechischen Mythologie Spuren von Selbstzweifel. In Die Unabhängigen II (1975) zitiert er sich als Beobachter selbst mit skeptischem Blick auf die von einem Tuch halb verdeckten, nackten Figuren. Wie unabhängig der Mensch, metaphorisch verstanden, ohne Wenn und Aber, nackt und ungeschützt seine Überzeugung öffentlich machen kann, bleibt fraglich.

Es scheint, von heute aus betrachtet, immer unwahrscheinlicher, je offener die Gesellschaft sich selbst versteht. Abschottung in der Anonymität der sozialen Medien versus offene unverstellte Bekenntnisse. Rink ist offenbar von einer Wirklichkeit hinter der damaligen, ideologisch postulierten Wirklichkeit überzeugt. Das Narrenschiff (1981/82) kolportiert unverstellt mit konturierter Farbigkeit Fluchtversuche von Menschen gegen die Schwerkraft, wie in Terror II (1978/79) mit virulenten Kontrastierungen von Schwarzweiß und gelb roten Farbaufträgen szenische Dynamik erzeugt wird. Mit welchem Verve Rink malt, machen Detailabbildungen auch anderer Arbeiten im Katalog deutlich, der als unmittelbarer Wegbegleiter in der Ausstellung sie besonders anregend macht.

Sinnbild für Rinks ringen nach 1989 um seinen künstlerischen Positionen zusammen mit seinem widerständigen Beharren auf seine Verantwortung als Rektor der Hochschule zeigt die Serie Protokoll einer Ministerbesprechung I – III (1991). Mit impulsiv dynamischen Pinselführung porträtiert er sich wie jemand, der im Fadenkreuz (über)kritischer Aufmerksamkeit justiert ist. Hinter sich alle äußeren Schwierigkeiten und Probleme lassend, sind seine späten Atelierbilder das Vermächtnis eines widersprüchlichen Künstlers und Zeitgenossen.

Herabsteigend aus der architektonischen Höhenlage der Rink-Säle, berühren im dezenten Licht des großen Hähner-Springmühl-Raumes vollkommen andere Eindrücke. Gestisch abstrakt Unfertiges wie Unperfektes, auf Stellwänden montiert und kaschiert, irritieren den Betrachter. Unabhängig davon, inwiefern ihm die Person und der Künstler Hähner-Springmühl bis dato bekannt sind.

Dass die Ausstellung unter dem Titel Kandidat firmiert, der Deckname, mit dem die DDR-Staatssicherheit über Jahre Hähner-Springmühl überwachte, verschiebt allerdings wesentlich den Fokus vom Künstler zur politischen Figur. Seine nicht-figürlichen Zeichnungen, Foto-Übermalungen und Notizen zeigen ihn in der erstmals unter seinem Name prominenten Ausstellung als jemand, der Kunst in einer unerbittlichen Unbedingtheit gelebt hat. Außenseiter par excellence und egomanischer Vollblutkünstler überhaupt.

Beim Gang durch die zu kleinen Kabinetten arrangierten Stellwände beschleicht einem zunehmend das Gefühl, als würde Hähner-Springmühl herbei springen und mit seinen kräftigen Händen das Mühlrad der Geschichte in eine andere Richtungen bewegen wolle. Weiteren Wortspielen folgend, verdichten sich seine gestischen Malattacken zu blockhaften Moränen, die Hähner loszutreten wähnt. Fragen zu stellen, nicht um malerische Antworten zu evozieren, ist ihm offensichtlich Motivation für seine künstlerischen Ausdrucksbemühungen. Den löckenden Stachel sich selbst ins Fleisch zu rammen, erweist sich nach 1989 immer mehr als je zuvor als seine Gesundheit verheerende Fehlschläge gegen sich selbst.

In einer seiner letzten Arbeiten, einer mehrteiligen Fotoübermalung hat er mit dickem schwarzem Pinselstrich resigniert: Es geht die Uhr auf Nacht.

Während Rinks künstlerisches Credo mit seinen zitierten Selbstporträts in vielen Arbeiten dokumentiert ist, bleiben von Hähner-Springmühls zahlreichen Performances vor allem die Fotodokumentationen sein Vermächtnis. Im Gegensatz zu der trotzig imperativischen Rink-Attitüde Ich male!, bleiben Hähner-Springmühls zahlreichen, foto-dokumentierten Performances im Status Nascendi eines unvollendeten Kandidaten.

13.11.2018
photo streaming Arno Rink
photo streaming Klaus Hähner-Springmühl
video streaming Hähner-Springmühl

Über Peter E. Rytz Review

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