Unheimlich reale Bildwelten

 

Giorgio de Chirico, Piazza D’Italia, 1925-25 @ Peter E. Rytz 2018

Italienaffine Kontinuität im Museum Folkwang Essen. Von seinem Tessiner Vorgänger Tobia Bezzola noch konzipiert, eröffnet Peter Gorschlüter (italienische Wurzeln großmütterlichseits!) in der Funktion des neuen Museumsdirektors seine erste Ausstellung. Beziehungsreich entsprechend der Titel: Unheimlich real. Italienische Malerei der 1920ger Jahre.

Das historische Zeitfenster der italienischen Malerei, das in der Ausstellung mit 80 Gemälden geöffnet wird, steht sowohl politisch als auch künstlerisch für eine Zäsur. Nach den Gräueln des 1. Weltkriegs sehnen sich viele Menschen nach Ordnung und Sicherheit. Die ausgestellten Werke erzählen von diesen surreal anmutenden, trügerisch wärmende Innerlichkeit beschwörenden Hoffnungen. Sie antizipieren mit magischer Attitüde einen Realismus als Hoffnungswunsch.

Gleichzeitig steckt Italien in einer wirtschaftlichen sowie in einer kulturell-moralischen Identitätskrise. Mussolini forciert mit seinem Marsch auf Rom 1922 faschistische Ideologien, die direkt in den 2. Weltkrieg führen. Begleitet von einer euphorischen Begeisterung durch weite Teile der Bevölkerung, auf Technik als den Hoffnungsträger zur Lösung aller gesellschaftlichen Probleme zu setzen, findet mit dem Manifeste de Futurisme von Filippo Tommaso Marinettis 1909 auch die Kunst der Moderne in den avantgardistischen Aufbrüchen ihren unmittelbaren Ausdruck.

Über den Bildern des Realismo mágico liegt allerdings ein rückwärtsgewandter Schleier. Kunstgeschichtlich zwischen Surrealismus und Pittura metafisica von Giorgio de Chirico einzuordnen, verklärt er eine biedermeierlich kleinbürgerliche Vergangenheit. Eine Hommage dieses Abgesangs in artifizieller Schönheit: Rappel á l’ordre.

So unheimlich real die Gemälde sich zeigen, so mutig engagiert sich das Museum Folkwang Essen erstmals in einer öffentlichen Ausstellung in Deutschland für sie. Nichts weniger als den Schleier über ihnen zu lüften, hat sich nach intensiver Recherche die Kuratorin Anna Fricke vorgenommen. Inwiefern hinter den dem Quattrocento technisch und motivisch verpflichteten Arbeiten auch gesellschaftspolitische Positionen aufzuscheinen vermögen, bleibt weitestgehend spekulativ. Fricke verweist auf Aspekte von Negation, Bekräftigung oder Eskapismus der zeitgehobenen, wie schlafwandelnden marionettenartigen Figuren und ihren unbewohnbaren Architekturen.

Ihren Katalogbeitrag In Windesstille übersetzt sie, den Titel assoziierend, in ein poetisch reflektiertes Narrativ. Der letzte Satz – De Chiricos Gebäude sind bloße Fassade, Carrás Häuser haben weder Fenster noch Türen und Virgilios Guidis Männer tragen Anzüge ohne jeden Knick – beschreibt nüchtern, was zu sehen ist. Gleichzeitig malt sie eine sprachliche Arabeske mit ironischem Unterton. Er führt den Betrachter über die Wahrnehmung des Sichtbaren tiefer in das Gemälde hinein.

Der Weg durch die Ausstellung führt mit Distanziertem Blick in Altmeisterlicher Strenge entlang Unbewohnter Häuser in Verstörenden Akten mit Ernsten Spielen durch das Alltägliche Theater mit Rätselhaften Begegnungen in Karge Realitäten. In den so bezeichneten Ausstellungssegmenten atmet eine zwiespältige Stimmung. Die Bilder zeigen einerseits realistisch eindeutig und verbergen andererseits geheimnisvoll.

Das Portrait Ritratto della Moglie Sullo sfondo di Venezia (1921) von Ubaldo Oppi steht mit seinem stilistischen Typik-Mix von Art déco im Gewand neuer Sachlichkeit mit einer venezianischen Veduten-Replik beispielhaft für Unheimlich real. Dass es als Corporate-Design-Vorlage für Flyer und Plakat der Ausstellung verwendet wird, ist entsprechend hinreichend programmatisch nachvollziehbar. Es vereint das Faktische mit dem geheimnisvoll unbekannt Verschlossenen.

Der konzeptionellen Idee, die Italienische Malerei der 1920ger Jahre schon in den Werbematerialien zu verdeutlichen, folgt auch die für das Katalogcover verwendete Arbeit Donna al Caffé von Antonio Donghi. 1931 entstanden, steckt sie nicht nur den Zeithorizont der Ausstellung ab. Donghi verbindet eine banale Alltagssituation – eine Frau in eine undefinierbare Ferne schauend; ein leerer Tisch; ausschnitthaft angedeutet, wenige Accessoires in einem Regal – mit einer geheimnisvollen Aura komplex, indem er zeitgenössische und traditionelle Bildelemente miteinander verbindet.

Zwischen diesen künstlerischen Eckpunkten – sowie neben den Arbeiten namhafter Künstler (Giorgio de Chirico, Giorgio Morandi, Gino Severini) – steht Felice Casaroti exemplarisch für die überwiegend weniger bekannten Künstler des Realismo mágico. Mit seinem Ritratto del Maestro Casella von 1926 portraitiert er einen Musiker, der mit seiner vielseitigen Begabung als Komponist, Pianist und Dirigent für einen zeitgenössischen Aufbruch in der Kunst steht.

Alfredo Casella schaut den Betrachter ausdrucksstark mit gespannter Körperhaltung selbstbewusst an. Die von Casaroti beabsichtigte, souveräne Distinktion Casellas ist allerdings alles andere als absolut und eindeutig. Zwei Hände umfassen und verschließen ein blaues Buch. Es gibt Halt und Stütze, wie es weiterhin signalisiert, dass die Zeit noch nicht reif zu sein scheint, seinen Zeitgenossen eine zeitgenössisch komponierte Musik zumuten zu können?

Letztlich überlässt es die Ausstellung dem Betrachter, seine Irritationen selbst zu ordnen. Zwischen Vorzeigen und Verbergen, dessen, was ist, Aktbildern, die ohne Sinnlichkeit mehr verstören, als erotisch animieren, sublimiert Unheimlich real idealisierte Fallstricke von Arbeit,  Familien und Häuslichkeit in selten gesehenen Bildwelten.

11.12.2018
photo streaming Unheimlich real

Über Peter E. Rytz Review

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