Die Ruhrgebietsfotografie und ihre Folgen

 

@ Peter E. Rytz 2018

Wenn man der Euphorie einen Namen geben kann, dann hat ihn Heinrich Theodor Grütter, Direktor des Ruhr Museum Essen so formuliert: Sie sehen hier einen glücklichen Menschen, strahlt er zur Eröffnung der Ausstellung Albert Renger-Patzsch. Die Ruhrgebietsfotografie (noch bis 2. Februar 2019). Seit 2000 als Idee in seinem Kopf, ist sie jetzt in Essen zu sehen und erleben. Ein Traum ist Wirklichkeit geworden und sei, so Grütter, kaum noch zu überbieten.

In Albert Renger-Patzsch. Die Ruhrgebietsfotografie spiegelt sich 40 Jahre Geschichte der Ruhrgebietsfotografie im Vergleich mit anderen fotografischen Ruhrgebiet-Zeugnissen in einer bildkünstlerisch eigenständigen, ästhetischen Handschrift. Die Ausstellung nutzt den schrundigen Charme der erhaltenen Bunker-Architektur des Ruhr Museums auf dem UNESCO-Welterbe Zollverein. Damit gewinnt sie eine eindrucksvolle Authentizität von Raum und Zeit.

Zu sehen sind die für das Ruhrgebiet stilbildenden und für nachfolgende Generationen prägenden Fotografien von Renger-Patzsch, einem der wichtigsten Fotografen der Neuen Sachlichkeit. Neben dem titelgebenden Schwerpunkt mit etwa 100 Fotografien seines freien Fotoprojekts Ruhrgebietslandschaften (1927 bis 1935), die das Albert Renger-Patzsch Archiv der Stiftung Ann und Jürgen Wilde, Pinakothek der Moderne, München (Kooperationspartner und wissenschaftlicher Begleiter der Ausstellung) zur Verfügung gestellt hat, sind weitere 200 Fotografien von Bildmotiven der Industrielandschaft bis in die 1960er Jahre zu sehen.

Renger-Patzschs Fotografien zeichnen in Architektur- und Porträtbildern sowie mit Objekt- und Industrieaufnahmen das Ruhrgebiet frühzeitig als eine sogenannte Zwischenstadt. Es scheint, als würde in ihnen die sozialökonomische Zwischen-Struktur einer bis heute in mehr als 50 kommunale Verwaltungen zersplitterte Region im Voraus erahnt. Arbeit und Freizeit am gleichen Ort finden in Renger-Patzschs neusachlichen Fotografien einen subtilen Ausdruck.

Obwohl Renger-Patzsch in der Fremdzuschreibung paradigmatisch für die Neue Sachlichkeit steht, definierte er sich selbst nicht als ihr Protagonist, wie die Kuratorin, Stefanie Grebe in ihrem Katalogbeitrag – Präzise, zeitlos und gegenstandsbezogen – formuliert, ist die Ausstellung ein Beispiel dafür, dass er viel mehr ist, als der oft einseitig gerühmte Fotograf des 1928 veröffentlichten Fotobandes Die Welt ist schön.

Auf der Suche nach dem Wesen der Dinge, die eine andere kulturgesellschaftliche, naturphilosophisch und metaphysisch durchdrungene Lesart und Wahrnehmung von Lebenswelten als die üblichen fokussiert, findet der Künstler vielgestaltige strukturelle Verwandtschaften von Natur und Technik. Ungewöhnliche Perspektiven, angeschnittene Sichtachsen, das Spiel von Licht und Schatten verdichten sich bei Albert Renger-Patzsch zu Bildmotiven, die von Otto Steinert als absolute Fotografie sowie mit der typologischen, industriellen Landmarkenfotografie von Bernd und Hilla Becher antizipiert und weiter entwickelt werden.

Die Ausstellung allein mit den Augen von heute in einer topografischen Perspektive zu betrachten, vernachlässigte ihren ingeniösen Charakter als geschichtsbezogene, allgemein gültige Zustandsfotografie einer Industrielandschaft überhaupt. Wie Renger-Patzsch mit seinen Arbeiten die Grammatik der Fotografie durchdekliniert, so beschreibt die Ausstellung einen über Jahrzehnte bestimmenden Zustand des Ruhrgebiets. Einen Zustand, im Verständnis von Renger-Patzsch eine Dingwelt, die mit der Schließung der letzten Zeche Prosper-Haniel in Bottrop Ende 2018 in der Ausstellung nicht wegzudenken ist.

Lässt man nach dem Ausstellungsbesuch den Blick von der obersten Plattform des Ruhr Museums schweifen, ist der seit Jahren forcierte Wandel von einer montan bestimmten Region hin zu einer Kulturregion nicht zu übersehen. Im Rahmen der Ausgestaltung dieses Wandels ist zu hoffen, dass die kulturkritischen Diskussionen aus den 1920er Jahren, dass Industriearchitektur mehr als nur funktional sein, sondern auch ästhetische Aspekte in den Raumplanungen, Landschaftsgestaltungen und Bebauungen berücksichtigen sollte, heute immer wieder erinnert werden.

Albert Renger-Patzsch. Die Ruhrgebietsfotografie ist, so verstanden und gesehen, deshalb mehr als nur eine Fotoausstellung. Verstanden als Vergewisserung einer Vergangenheit, auf welche eine nachhaltige und regionalspezifische Zukunft aufbaut, bietet die Ausstellung eine Möglichkeit, sich als Bürger mit den Assoziationen der Bilder hinter den Renger-Patzsch-Fotografien in die Diskussion um die Zukunft des Ruhrgebiets konstruktiv einzubringen.

07.01.2019
photo streaming Albert Renger-Patzsch

Über Peter E. Rytz Review

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