JOE mit Carl jazzig

Tom Rainey Trio @ Peter E. Rytz 2020

Gleiche Welle, gleiche Stelle – so könnte man die Essenz des 24. JOE-Festivals in der Zeche Carl in Essen umschreiben, was einer erfolgreichen Fortsetzung gleichkommt. Mit Oliver Lutz (b) und Leif Berger (dr) eröffnen zwei Musiker das diesjährige Festival, die auch 2019 dabei waren. Vor einem Jahr mit Salomea (JOE und Zeche Carl – frisch verlobt vom 23.01.2019, hier veröffentlicht), in diesem Jahr mit Re: Calamari.

Anstelle von Yannis Anft (synth) spielt Pablo Held (key). Mit ihm coloriert Re: Calamari mit einer anderen Klangfarbigkeit. Allerdings überzeugt Helds Keyboard nicht wirklich nachhaltig. Wanja Slavin (sax) übernimmt anstelle der außerordentlichen Sängerin Salomea gewissermaßen den vokalen Part mit seinem Altsaxophon. Komplett anderer Sound, mit ihm aber komplett überzeugend.

Jazzmusiker tummeln sich nicht unbedingt in einem Haifischbecken wie Künstler andernorts. Heftig umkämpft ist trotzdem das rare Gut der öffentlichen Aufmerksamkeit. Mit Re:Calamari serviert der Kopf der Tintenfisch-Gemeinschaft Lutz ein Sound-Gourmet-Gericht, dass Appetit macht. Re: Eine Klammer, die für echt und authentisch steht. Nicht zu scharf, aber herzhaft, jedenfalls nicht einfach zu übersehen, respektive zu überhören.

Aus der zweiten Bass-Drum-Reihe mit einer groovigen Gewürzmischung angerührt, dekoriert Held am Keyboard mit dezenter Zurückhaltung, mixed with solt and pepper. Nicht immer gelingt eine schmackhafte Mischung. Manches Salatblatt erschlafft unter dem wabernden Keyboard. Ihm fehlt manchmal eine perlende Frische.

Für ein überzeugendes Calamari-Dressing ist der Saxophonist Wanja Slavin verantwortlich. Er variiert mit prosaischem Ausdruck die Zutaten. Mixt sie mit langem Atem in seinem Rohr. Mit kräftigen Aromen versetzt, perlen die Töne ins Calamari-Menü. Mischen sich zu einem leckeren Sound-Salat. Fusion, eine Komposition von Slavin, ist das musikalische i-Tüpfelchen dieses Auftaktkonzerts.

Brenda, eine Gruppe, die es eigentlich noch gar nicht gibt, haben die Festivalmacher Patrick Hengst und Christian Ugurel als Erste, wie sie launig moderierend stolz bemerken, abgegriffen. Aus dem Stand-by-Modus mit Status nascendi direkt auf die Bühne in der Zeche Carl. Zwei Frauen, ein Mann, zwei Vokalistinnen, Maika Küster und Marie Daniels, ein Drummer, Jo Beyer sind Brenda.

Sie verzaubern mit luftig leicht schwebenden, hauchzarten Vokalisen zusammen mit den auch mal minimalistisch gedämpften, im Wechsel mit dunkelfarbig kraftvollen Drum-Sounds. Eine abgestimmte Melange von lyrisch poetischer, vokaler Duo-Klangfarbigkeit sowie gegenläufig kontrastierenden Stimmen punktiert von einem kommunikativ orientierten Schlagzeug.

Beyer formt seine Klang-Collagen mit dialogischer Sensibilität im Blick- und Reaktionskontakt mit Küster und Daniels. Wenn er sich mit seinem ganzen Körper über die Snare-Drums legt, die Cymbals mit ihm anzuschlagen scheinen, ist ein visuell energiegeladener Klangkosmos zu erleben.

Der Brenda-Sound verschränkt den Drum-Beat mit den vokal betonten Obertönen, mit Hall-Effekten von Küster manipuliert, zu einer Reise durch das American Songbook à la Joni Mitchell, wie er manchmal an die Scat-Improvisationen einer Laura Newton denken lässt. Kein abstrahierte Kopie, sondern Brenda-Original.

Verblüffend und überraschend die Souveränität, mit der sie angesichts ihrer noch in Gründung befindlichen, jungen Bandsituation sehr variantenreich klangfarbig gestaltet. Stellenweise mutet ihr Sound wie das Ergebnis einer stammesrituellen Klangforschung an. Ihr abschließendes I-love-you-Sounding findet viel Zustimmung.

Nach Brendas eher sphärisch gefühliger Klangreise führt das Tom Rainey Trio das JOE-Publikum in die Zugluft radikaler Improvisationsschauer. In der Pose eines Yoga-Energetikers markiert Rainey ihre Linie und Struktur. Die Büchse der Pandora einmal geöffnet, ergießt sich heiße Sound-Lava aus seinen Tom-Toms. Ingrid Laubrock weicht der Glut nicht aus. Sie facht sie mit ihrem Bariton-Saxofon weiter an. Mary Halvorson verdichtet den Glutstrom mit rhapsodischen Intermezzi. Mal klirrend brachial, mal sanftmütig beschwichtigend. Rainey, Laubrock, Halvorson, Typen die kaum unterschiedlicher sein könnten.

Rainey, ein kontemplativ gezügelter Vulkan, der es im nächsten Moment Lava-Brocken regnen lässt. Laubrock, eine aufmerksame Wanderin, die über jeden noch so winzigen Stein absichtsvoll stolpert, ihn als Herausforderung sieht: Wer ist stärker, Vulkanwind oder mein Horn? Halvorson, eine Gitarristin, der mancher auf den ersten Blick sicher nicht zutraut, dem heißen Lava-Sud zu stoppen und in von ihr bestimmte Bahnen umzulenken. But surprise! She does it!

Seit 10 Jahren zündet diese Trio-Besetzung sperrige Gegenfeuer. Jeder Brand im Jazz-Haus der Improvisationen wird von ihnen verlässlich und unnachahmlich gelöscht.

(Fortsetzung 17./18.01.20 unter http://www.NRWjazz.net)

photo streaming Re: Calamari
Brenda
Tom Rainey Trio

23.01.2020

Über Peter E. Rytz Review

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