Die Obsessionen des Keith Haring

Das kurze, aber heftige Leben des Keith Haring blättert das Museum Folkwang Essen 50 Jahre nach seinem Tod kaleidoskopisch als illustrierte Obsessionen eines Künstlers aus, der die Straße als Galerie erobert (noch bis 29.11.2020). Zeichnen und Malen als Form einer enigmatischen Form von Performance Painting, befeuert vom Hip-Hop- sowie Rap-Sound, der von New York aus sowohl die Musikszene als auch die der bildenden Kunst der 1980er Jahre prägt.

Das Video Painting myself in the corner von 1979 leitet die Ausstellung nicht nur nachdrücklich ein. Es ist auch Harings Statement, Menschen dort zu erreichen, wo sie gerade sind. Er eignet sich aktiv und kompromisslos öffentliche Orte wie Straßen und Subwaystations als Atelier an (untitled Subway Drawings, 1981) – Atelier in seinem ursprünglichen Sinn als Werkstatt und Produktionsort als auch als Ort der Selbstinszenierung verstanden.

Durch temporäre Inbesitznahme, beispielsweise von ungenutzten Werberahmen, instrumentalisiert er diese als Kommunikationsort, direkt und unmittelbar. Er ist davon überzeugt, damit höhere Ebenen der Kommunikation zu erreichen, wie ihn Hans-Jürgen Lechtreck im Katalog zitiert.

Überzeugt von Message to the public, klinkt er sich mehr oder weniger illegal mit Time Square Animation (1980) in elektronische Werbebotschaften an einem der spektakulärsten öffentlichen Orten New Yorks ein. Provokativ und proaktiv artikuliert Haring mit einer kreativen, cartoonesken Bildsprache eine vehemente – kulturelle wie politische – Überzeugung, Menschen zum Anhalten und Hinschauen zu animieren.

@ Peter E. Rytz 2020

Seine Zeichnungen generieren sich, von der Kunstwissenschaft reichlich vollmundig beglaubigt, als urbane Kaligraphien aus dem Reichtum afrikanischer, indianischer und aztekischer Symbolik. Ebenso können Anleihen bei Jean Dubuffet ausgemacht werden. Die mehr als 15 Meter lange und fast zwei Meter hohe The Matrix (Sumi auf Papier, 1983) impliziert einen Abschreitungsrhythmus, der Dubuffets Coucou Bazar von 1972 – 73 evoziert (Dubuffets Landschaften in uns vom 02.04.2016, hier veröffentlicht).

Den Film Wild Style (1981) kann man als Narrativ von Harings Credo verstehen. Nicht die klassischen Galeriegänger sind seine Zielgruppe, sondern Party-of-Life-Consumer. Graffitis wie Crack the Wack (1986) oder die mit Angel Ortiz alias LA II und weiteren Künstlern, u.a. Jean-Michel Basquiat, realisierte Arbeit mit Sprühlack und Filzstift auf Masonit Art ist the Word (1981) plädieren für eine selbstbewusste DIY-Culture (Do it yourself). Geprägt von aktivistischen Botschaften – Mach‘ es selbst! Trau‘ Dich! Du kannst es! -, scheint in Harings Werk das im Menschen Gärende, das ihn Beunruhigende auf, das sich mit Worten nicht oder nur schlecht beschreiben lässt. Aber sich in seiner Kunst Platz schafft.

Durch seine öffentliche Präsenz entwickelt er einen unglaublichen Bekanntheits-Hype. Haring steht für das Medienphänomen mit einer intuitiven, unverwechselbaren Bildsprache. Als über die Macht sozialer Medien in einer global vernetzten Gesellschaft noch keine Vorstellung existierte, entwickelt sich eine ikonografische Pop Shop Culture in New York und Tokio als Massenphänomen.

Als engagierter Aids/HIV-Protagonist bleibt Haring als Saver-Sex-Mahner in Erinnerung, der mit seinen Poster-Offsetlithographien wie Ignorance = Fear (1989) sein Coming out öffentlich macht. Wenn es mich nicht treffen würde, dann keinen. Also wußte ich es. Es war nur eine Frage der Zeit. Eine späte, für ihn zu späte Erkenntnis. Seinem künstlerischen Vermächtnis auch oder gerade als politischer Aktivist zu folgen, lohnt allein schon deshalb die Essener Ausstellung.

27.09.2020
photo streaming Keith Haring

Über Peter E. Rytz Review

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