Patricks Traum

Der Mai in Basel, meteorologisch ein Wechselspiel von Sonne und kühlen Regenschauern, spiegelt sich auch in Kunstausstellungen und Theateraufführungen wider. Die Sommerausstellung 2024 in der Fondation Beyeler, erstmals parallel im Haus und im Park inszeniert, antizipiert die temporäre Wettersituation ungeplant mit dem von Fujiko Nakaya (91) künstlich erzeugten Nebel, der den Park und die Besucher sekundenschnell mit Wassertropfen einhüllt.

Im Theater Basel fällt kurzfristig die Aufführung Sommergäste, Schauspiel nach Maxim Gorki aus. Tage später gibt es mit Ein Sommernachtstraum, Komödie von William Shakespeare, mehr als nur einen sommerlich inspirierten Ersatz. Die Premiere im Dezember 2022 am Theater Basel löste nach einer mehr oder weniger halbwegs durchgestandenen, diskret die Öffentlichkeit meidenden Pandemie ähnlich der von 1595, als Shakespeare das Stück schrieb, eine kathartische Theaternacht aus. Im Mai 2024, wieder alles scheinbar normal, überwältigt die Inszenierung von Antú Romero Nunes mit einer ungebrochenen poetisch musikalischen Kraft. Er steht programmatisch für eine Regiearbeit, die auf offene Kommunikation mit dem Ensemble setzt. Das haben sich auch schon andere Theater erfolgreich zunutze gemacht (Caligulas Schatten vom 08.11.2017).

Damals 1595, in Zeiten von Desorientierung und dem Wunsch nach Abwechslung sowie befreiendem Lachen geprägt, muten wie eine Referenz zur Situation in der Gesellschaft heute an. Möglich, dass es in diesen Maitagen mehr regnet als zu Shakespeares Zeiten. Gegenüber den in Liebestrauer getränkten Tränen kann das vernachlässigt werden. Vielleicht, weil Regenwasser fehlt, doch jetzt gibt’s gleich den Wolkenbruch aus meinen Augen, assoziiert Hermia (Nairi Hadodo, jugendlich frivol, lasziv mit spielerischem Witz) eine Welt phantastischer Einbildungen jenseits einer Katalog-Realität: Schon wieder klein, und anders nicht wie klein? .. Nicht gar so klein, dass nicht Dir meine Nägel an die Augen reichten

Es sind Momente, wo Phantasie und eine spirituelle Qualität, die sich nicht in den Kategorien der instrumentellen Vernunft fassen lässt (Ina Habermann, Shakespeare heute?). Es sind Grundelemente einer Perspektiven verschränkenden Inszenierung, die fragt, was denn Realität überhaupt sei. Antú Romero Nunes verortet Shakespeares theatralische Erfindung eines Stücks im Stück (asides) in einer Schulaula. Die siebenköpfige Lehrer-Körperschaft teilt die Rollen in Mehrfachbesetzung nicht nur unter sich auf. Sie geben den Sommernachtstraum-Figuren in ihrer Person weiterhin eigene Vornamen.

Michael Klammer (als Theseus und Oberon spielerisch authentisch in den unterschiedlichen Rollen geschmeidig wandlungsfähig) versucht als Fabio das Schauspielpersonal zu sortieren. Das führt zu ersten komödiantischen Aktionen. Sven Schelker, als Patrick der Typ, der sich in die Brust wirft, alles spielen zu können. Vom Löwenschrei bis zum sich selbst irritierenden, liebestollen, eselsohrigen  Demetrius. Keine romantische Verklärung kräuselt sich auf. Eine handfeste Lebenswirklichkeit in und außerhalb der Schule erzählt auf der minimalistischen, wesentlich auf drei Bänke sowie eine Sound-Musik-Insel (Luzius Schuler mit einem luziden Sound Producing) beschränkten Bühne von Matthias Koch die Sommernachtsgeschichte als die einer zauberhaften Feenwelt.

Shakespeares Versuchs- und Spielanordnung des Sommernachtstraums setzt für diesmal die Grenze von Wirklichkeit und Traum außer Kraft. Eine alltägliche Erfahrung: Der Moment, wenn ich jeden Abend einschlafe, entzieht sich meiner Bestimmung. Der Traum schwebt gleichsam in einer unbewussten Wirklichkeit ein.

Dieses Schwebende umflort das Zauberkraut von Puck (Gala Othero Winter in sportiv gelenkigem Gestus des Spiritus Rector im Feenreich) im Auftrag Oberons. Seine Gattin Hippolyta, wie auch als Titania (Aenne Schwarz mit sich forsch zusprechendem Mut) durchwebt diese Sommernachtstraum in der lebensbejahenden Version von Antú Romero Nunes. Clownesk bewegt, performativ ein- und ausatmend.

Ein Bilderbogen von despotischem Machtanspruch der Athener Oberschicht sowie von Liebesschwüren, die sich mit Pucks Zauberkraut Vielliebchen umgehend in ihr Gegenteil verkehren. Ein Jagen und Haschen nach der wahren Liebe – oder doch nur nach der Ware Liebe? Die Dramaturgie der Basler Aufführung folgt der Intention: Wir schreiben den Sommernachtstraum weiter (Inga Schonlau).  

Liebe wird immer auch im Kontext gesellschaftlicher Verhältnisse erfahren; mitunter zum Leidwesen der Liebenden. Shakespeare lässt sie in den Wald fliehen. Sie entfliehen gewissermaßen der Apokalypse ihrer eigenen Beziehungen. Dorthin, wo die Kräfte der Realität außer Kraft gesetzt sind. Dass in der Inszenierung Helena von Fabian Krüger, dem erotisch poussierenden Lehrer Dominik und Lysander von Anne Haug, der unvergleichlichen Cordula der Lehrerschaft mit empathischen Overdrive gespielt wird, ist mehr als nur eines der inzwischen häufig selbstreferentiellen Gender-Konnotationen.

Wohin mit unseren Träumen, wenn die Welt so ist, wie sie ist? Mehr Mut zu Zuversicht und Hoffnung scheint der rauschhafte Applaus nach 150 Minuten rasantem Non-stop-Theater mit psychologischem Tiefgang zu fordern. Und so erwacht auch Patrick, der nicht in Schwermut versunken war, aus seinem Traum. Er feiert das Leben.

24.05.24

Über Peter E. Rytz Review

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